Grindavík ist wieder für die Öffentlichkeit geöffnet
Am Montag, den 21. Oktober 2024, wurde der Ort Grindavík nach mehr als 11 Monaten Sperrung wieder für die Öffentlichkeit geöffnet.
Seit dem 10. November 2023 war der Zugang zu der Stadt aus Sicherheitsgründen beschränkt. Teilweise war der Zugang komplett verboten. Oft durften nur die Menschen nach Grindavík, die dort wohnen oder arbeiten oder besondere Erledigungen zu machen hatten. Der Zugang wurde kontrolliert. Jetzt wurde die Stadt "wiedereröffnet". Der Hauptzweck der Öffnung besteht darin, den Unternehmen, die noch vor Ort tätig sind, eine mögliche Perspektive zu geben - ihnen wieder "Sauerstoff zuzuführen", wie es hier heißt.
Zugang auf eigenes Risiko Der Zugang in die Stadt ist seit 21.10.2024 aktuell nicht mehr eingeschränkt. Der ganze Ort ist aber ein ausgewiesener Gefahren-bereich.
Es kann überall unerwartete Erdspalten und Ritzen geben, in die man stürzen kann. Ein Mensch ist in so einer Spalte schon ums Leben gekommen. Deshalb ist es wichtig, nur auf den Straßen zu laufen und keine Grundstücke oder offenen Flächen zu betreten.
Die eingezäunten Bereiche dürfen nicht betreten werden!
Der Verkehr in und aus der Stadt wird elektronisch überwacht, aus Sicherheitsgründen im Fall einer möglichen Evakuierung.
Alle Menschen in Grindavík halten sich auf eigenes Risiko im Gefahrenbereich auf. Jeder ist für sein eigenes Tun und Unterlassen verantwortlich.
Grindavík ist kein Ort für Kinder. Lasst Kinder hier auf keinen Fall unbeaufsichtigt!
Große Schilder geben Anweisungen:
Verlassen Sie den Ort, wenn die Sirenen vom Katastrophenschutz erklingen. Folgen Sie bei einem Evakuierungsalarm den markierten Fluchtwegen.
Große, grüne Schilder weisen auf Isländisch und Englisch groß und deutlich auf den Fluchtweg hin: Flóttaleið. Emergency Exit.
Außerdem wichtig - der Respekt für die Anwohner. So viele Menschen haben hier ihre Häuser und Wohnungen verloren, ihr gewohntes Umfeld, ihre Nachbarn, ihren Arbeitsplatz, ihre Schule, ihren Verein. Daher ist es wichtig, sich vor Ort wenigstens sensibel zu verhalten. Man betritt kein Privatgelände. Und man schaut nicht in die Fenster der verlassenen Häuser.
Wichtig auch noch für Besucher: In Grindavík gibt es derzeit keine öffentlichen Toiletten. Lediglich in den geöffneten Restaurants könne die Gäste die dortige Toilette benutzen., wie hier z.B. in dieser Pizzeria
Neben der Pizzeria gibt es noch ein paar weitere Unternehmen in Grindavík, die aktuell geöffnet sind, so z.B. ein Fischrestaurant am Hafen, das werktags einen Mittagstisch anbietet, eine Bäckerei, die momentan vormittags wieder geöffnet hat, außerdem eine Mechanikerwerkstatt und sogar ein Guesthouse, das Anfang dieser Woche wieder geöffnet hat. Andere Firmen wollen ebenfalls öffnen, sobald die nötigen Reparaturarbeiten abgeschlossen sind.
Unsere Fahrt nach Grindavík am zweiten Tag der Öffnung
Wir waren am Dienstag (22.10.) geplant auf Reykjanes unterwegs, wir mussten zum Flughafen. Als ein paar Tage vorher die Öffnung von Grindavík angekündigt wurde, haben wir entschieden, wir fahren kurz hin.
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Velkomin til Grindavíkur - das alte Willkommensschild oberhalb der Stadt |
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Blick von oben auf die Stadt und die neue Lava
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Beklemmende Atmosphäre vor Ort
Vor Ort herrscht eine beklemmende Atmosphäre. Die leere Stadt, fast keine Autos vor den Häusern, keine Blumentöpfe in den Fenstern, Gardinen an den Fenstern vor leeren Wohnungen, keine Fußgänger, keine spielenden Kindern... nur tiefe Risse, mehr oder weniger zerstörte Häuser, abgesperrte Bereiche und Stille.
Schon der Weg in die Stadt macht einem bewusst, wo man hier ist - die neue Straße führt über die frische Lava, rechts und links neben der Straße dampft es. Kein Ort, um sich hier aufzuhalten.
Wir kamen auf dem Straße an den
Überresten der Stromleitung vorbei. Dieser Strommast hier hatte, auf seinem erhöhten Plateau, hoch genug gestanden und so den Lavafluss überstanden, aber die Leitungen waren bei der Hitze zusammengebrochen und die Masten näher am Ort lagen nur noch als schwarze, verkohlte Ruinen über der frischen Lava.
Am Ortsanfang kommt man am Nettó-Supermarkt vorbei. Nettó war das einzige Lebensmittelgeschäft in Grindavík, aber jetzt ist es geschlossen. Ich erinnere mich, dass wir hier früher mal einkaufen waren, ein quirliger, lebendiger Ort voller Menschen und im Laden spielten sie das ESC-Lied "Satellite" von Lena Meyer-Landrut, es muss also im Sommer 2010 gewesen sein. Heutzutage ist der Ort still und leer.
Fotoausstellung am Ortseingang
Neben dem Parkplatz vom Nettó ist jetzt auf einem leeren Parkplatz eine Fotoausstellung eingerichtet.
Der Fotograf Sigurður Ólafur Sigurðsson hat seit Januar 2020 für den Katastrophenschutz und das Notfallmanagement regelmäßig die Menschen vor Ort begleitet und auf rund 70 Fahrten die Ereignisse in der Stadt bis jetzt auf seinen Bildern festgehalten und dokumentiert.
Im Oktober 2024 hat er sein Foto-Buch "Reykjanes vaknar" (= "Reykjanes erwacht") veröffentlicht. Auf über 400 Seiten dokumentiert er hierin mit rund ausgewählten 500 Bildern und kurzen Texten die Geschichte des Ortes in dieser Zeit.
Rund 20 dieser Bilder kann man sich jetzt auch vor Ort in dieser Foto-Ausstellung in Grindavík anschauen und sie erzählen von den Erdbeben und Vulkanausbrüchen, der Zerstörung, aber auch dem Kampf der Menschen um den Ort, von Solidarität, Einfallsreichtum und Mut und der kollektiven Kraft der Isländer.
Seit der Evakuierung im November 2023 ist Grindavík eine mehr oder weniger verlassene Stadt. Zwischenzeitlich konnten Anwohner immer wieder in die Stadt. Im Schnitt übernachten aktuell noch in bis zu 60 Häusern im Ort Menschen, oft sind es aber auch nur um die 30 Häuser.
Hier, vor dem ehemaligen Sportcenter der Stadt, sieht man im abgesperrten Bereich deutlich die Schäden, die die Erbeben vor Ort verursacht haben.
Hier mal zum Vergleich ein Bild aus einem Zeitungsartikel von Ragnhildur Helgadóttir im Morgunblaðið (
mbl.is) vom 13. November 2023. Hier steht ein Mitglied der Rettungsmannschaft und betrachtet den tiefen Riss durch die Straße, der sich hier qualmend aufgetan hat. Aber der Parkplatz vor dem Sportcenter ist noch eine ebene Fläche, hier parken Autos, es laufen Polizisten und Mitglieder der Rettungsmannschaften herum und die Laternen stehen noch.
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Quelle: mbl.is vom 13.11.2023 |
Mittlerweile ist das anders. Die Beben haben das komplette Gebiet auseinander gerissen. Die Straße ist jetzt zwar wieder benutzbar, man fährt über einen großen Wall, mit dem sie die Risse verfüllt und überbrückt haben. Aber die Schäden sich unübersehbar: Die eine Hälfte des Fußwegs ist einfach mal rund einen Meter nach oben versetzt worden, oder die andere Hälfte nach unten, keine Ahnung. Man sieht wirklich nicht, auf welchem Niveau hier früher der Weg verlief, und sowohl unterhalb als auch oberhalb des Risses ist eine solide Ebene - nur halt "höhenversetzt", aber komplett, mit allem, was darauf stand. Manche Laternen am Weg stehen noch, andere nicht mehr, auch die Stromleitungen hat es zerrissen.
Ich kann mir nicht vorstellen, welche Kräfte hier gewirkt haben.
Viele Gebiete in der Stadt sind komplett abgesperrt, auch die Anwohner dürfen hier aus Sicherheitsgründen nicht mehr hin.
Teilweise sind größere Bereiche der Stadt abgesperrt, teilweise "nur" einzelne Häuserzeilen, die besonders betroffen sind.
Überall große Absperrgitter aus dem Baumarkt, die ganze Häuserviertel und Wege komplett absperren. Und aus den verbliebenen Rissen in der Straße steigt Dampf auf...
An vielen Häusern sind die massiven Schäden durch die Erdbeben deutlich sichtbar. Viele Holzkonstruktionen an den Dächern sind geborsten. Außenverkleidung aus Wellblech sind einfach abgefallen. Durch den Beton der Häuser ziehen sich tiefe Risse, wie hier vom Fenster neben der Tür und an das Fassade.
An etlichen Fenstern hängen noch die Zettel, die die Menschen bei der Evakuierung am 10. November 2023 entsprechend dem Evakuierungsplan für die Stadt an die Fenster gehängt haben, als schlichte Botschaft an die Rettungskräfte: "Farin". Fort. Weggegangen. Alle weg, keiner mehr da. So konnten die Rettungskräfte schneller sicherstellen, dass tatsächlich der ganze Ort geräumt war.
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Quelle: mbl.is vom 13.11.2023 / Foto Brynjólfur Löve
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Heute ist die Botschaft auf den Zetteln ausgeblichen, aber viele Zettel hängen noch, gut sichtbar in den Fenstern.
Hier noch ein aktuelles Foto vom Pflegeheim Víðihlíð in Grindavík - das Gebäude des Pflegeheims wurde am frühen Abend des 10. November 2023 von den Beben stark beschädigt, die geborstenen Wasserleitungen hatten etliche Teile der Einrichtung unter Wasser gesetzt und an einer Stelle ist das Gebäude fast in zwei Teile gespalten. Die Einrichtung wurde vom Rettungsteam Þorbjörn geräumt, noch vor der allgemeinen Evakuierung der Stadt.
Nach einem kurzen, beklemmenden Aufenthalt haben wir die Stadt wieder in Richtung Keflavík verlassen.
Der Polizeichef von Suðurnes sagte gestern gegenüber der Zeitung Morgunblaðið, dass der Zustrom nach Grindavík nach der Öffnung für die Öffentlichkeit am Montag nicht groß war. Es gebe bisher nicht viel Touristenverkehr in die Stadt.
Geschichte der Evakuierung der Stadt am 10. November 2023
Die Evakuierung von Grindavík mit seinen rund 3.300 Einwohnern erfolgte am 10. November 2023 abends, nachdem es zu starken Erdbeben und massiven Schäden vor Ort gekommen war. Das stärkste Beben hatte eine Stärke von 5,2. Die Straße 43, der Grindavíkurvegur, war gegen 20 Uhr bei den Beben buchstäblich zerrissen worden. Im weiteren Verlauf des Abends wurden massive Schäden an Gebäuden im Ort gemeldet. Gegen 22 Uhr entschied der Zivilschutz in Absprache mit den Experten, den Ort zu evakuieren. Ab 23 Uhr wurden die Menschen aufgefordert, ihre Häuser geordnet zu verlassen - Strom abstellen, Wasser abzustellen, Medikamente und persönliche Gegenstände einpacken und mitnehmen, ggf. auf Kopfkissen und Bettdecken für die Nacht. Gegen 3 Uhr in der Nacht war die Evakuierung abgeschlossen. Anschließend wurden aus Sicherheitsgründen auch die meisten Rettungskräfte abgezogen.
Am 18. Dezember 2023 kam es nördlich von Grindavík zum Ausbruch, allerdings nur kurz. Anschließend wurde versucht, den Ort wieder zu sichern. Es wurden zahlreiche Wälle rund um die Stadt und die Infrastruktur gebaut, die sich in der Folge auch sehr bewährt haben. Ohne diese Schutzwälle gäbe es die Stadt mittlerweile vielleicht gar nicht mehr.
Bei Arbeiten, bei denen die entstandenen Risse im Ort verfüllt werden sollten, kam es am 10. Januar 2024 zu einem tödlichen Unfall. Der 50-jähriger Arbeiter stürzte beim Festrütteln von Füllmaterial in einen Riss, der an der Oberfläche relativ klein wirkte, der sich nach unten aber extrem erweiterte. Der Mann konnte trotz intensiver Suche nicht mehr gefunden werden.
Am 15. Januar 2024 folgte der nächste Vulkanausbruch. Aus einem kleineren Spalt, der sich ganz in der Nähe der Stadt öffnete, floss Lava. Dabei brannten drei Häuser bis auf die Grundmauern nieder.
Die Schäden am Ort sind beträchtlich. Durch die Beben wurden mindestens 74 Häuser vollständig zerstört, viele weitere Häuser sind auch massiv beschädigt.
Die Regierung unterstützte die Bewohner von Grindavík, die Grindvíkingar, bei der Suche nach Ersatzwohnraum, sowohl durch spezielle Angebotsportale als auch finanziell durch Wohngeld. Für komplett zerstörte Hauser zahlt die Versicherung, bei anderen Gebäuden kauft der Staat bis Ende 2024 auf Antrag Privatwohnungen und -häuser von Einwohern von Grindavík für 95% des Brandversicherungswerts auf. Für Gewerbeimmobilien ist bisher keine vergleichbare Regelung vorgesehen.