Sonntag, 16. Juni 2024

Hnallþóra

Hnallþóra - Stößeldora


"Hnallþóra", im Plural "Hnallþórur", ist auf Island der Oberbegriff für große, opulente, reich verzierte mehrstöckige Torten, oft mit Baiser und Sahne. 

Der Name geht zurück auf eine Roman-Figur von Halldór Laxness (1902 - 1998). Halldór Laxness erhielt 1955 den Nobelpreis für Literatur. (Er ist damit der einzige Isländer, der je einen Nobelpreis überreicht bekam.)

Hallþóra ist eine Figur aus Laxness' Buch "Kristnihald undir Jökli" von 1968, wörtlich "Christentum unter dem Gletscher". Auf Deutsch erschien der Roman zunächst 1974 im Aufbau-Verlag in der DDR unter dem Titel "Seelsorge am Gletscher", heute ist es als "Am Gletscher" erhältlich. 

Der Roman ist der fiktive Bericht eines jungen Theologen, der als Vertreter des Bischofs die Zustände in einer Pfarrei am Gletscher Snæfellsjökull untersuchen soll. Denn dem Bischof sind schlimme Gerüchte zu Ohren gekommen. So habe der Pfarrer Jón seit 20 Jahren sein Gehalt nicht mehr abgeholt. Auch sei die Kirche verschlossen, Gottesdienste würden nicht mehr gefeiert, Kinder nicht mehr getauft und Tote nicht mehr beerdigt. Stattdessen verfüge der Pfarrer über großes handwerkliches Geschick, repariere für die Mitglieder der Gemeinde ihre Alltagsgegenstände und helfe beim Vieh. 

Die Pfarrfrau ist seit Jahren verschollen, stattdessen lebt eine ältere Frau beim Pfarrer - Hnallþóra. In der deutschen Ausgabe heißt sie "Stößeldora", benannt nach ihrem Küchengerät (hnallur) - dem Stößel oder Mörtel, mit dem sie die Gewürze zum Backen zerkleinert.

Hnallþóra 

Hnallþóra ist eine unverheiratete ältere Frau, gedrungen, etwas wortkarg, aber offensichtlich sauber und ehrbar. Sie stammt aus den Bergen und gehört zum Pfarrhof, so sagt sie selbst. 

Von den neuen Zeiten hält Hnallþóra offenbar nicht viel - vom elektronischen Licht mag sie gar nicht sprechen. Und sie benutzt weiterhin ihre alten Küchengeräte und ihren Stößel statt eines elektrischen Mixers, auch wenn andere in der Gemeinde darüber spotten mögen. 

Als der Vertreter des Bischofs zu nachtschlafener Zeit zum Pfarrhof kommt, empfängt Hnallþóra ihn mit frischem Kaffee und Bergen an Kuchen - auf dem mit einer Tischdecke gedeckten Tisch stehen ungefähr zwei Dutzend Teller mit verschiedenem Gebäck und Hnallþóra trägt noch drei Torten herein, jede etwa 20 cm im Durchmesser und beachtlich hoch. 

"Der Kaffee schmeckte nach Erde, und wenn ich die Wahrheit sagen soll, so sank mir der Mut, als ich so vielerlei Gebäck um so schlechten Kaffee versammelt sah", berichtet das Besucher im Buch. "So viele Kuchen habe ich noch nie auf einmal gesehen. Haben Sie alle diese Kuchen selbst gebacken?", fragt der junge Theologe. Und die Frau erwidert: "Wer denn sonst?" 

Schließlich schneidet sie für den Besucher ein Stück von einer der Torten ab, das für sieben Personen genug gewesen wäre, und legt es ihm auf den Teller. Und dann erzählt sie ihm von dem Elfenwidder, dem sie als junges Mädchen einmal begegnet war, unter dem Gletscher. 


Und so heißen solche aufwändigen, hohen Torten mit viel Sahne und Zucker und Obst, wie Hnallþóra sie hier in der Nacht dem Gesandten des Bischofs serviert hat, bis heute auf Island "Hnallþóra". Und finden sich immer noch oft auf isländischen Kaffeetafeln, besonders zu festlichen Anlässen.

 Guten Appetit! 


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