Island hat gewählt
Das Jahr 2024 war ein politisch ereignisreiches Jahr auf Island, mit dem Rücktritt der langjährigen Premierministerin, der Neuwahl des Präsidenten, dem vorzeitigen Ende der bisherigen Regierungskoalition und den anschließenden Neuwahlen.
Die bisherige Regierungskoalition um die links-grüne Premierministerin Katrín Jakobsdóttir hatte Island nach vorgezogenen Neuwahlen seit November 2017 regiert.
Wegen einer Affäre um den Vater des damaligen Premierministers Bjarni Benediktsson war die 2016 gewählte Regierung nach nicht einmal einem Jahr auseinandergebrochen. Es kam im Herbst 2017 zu vorgezogenen Neuwahlen. Bei dieser Wahl wurden die Links-Grünen mit knapp 17% zweitstärkste Kraft. Da die mit gut 25% stärkste Kraft, die Unabhängigkeitspartei, selbst keine Koalitionspartner fand, der unter Führung der Unabhängigkeitspartei mit ihr zusammenarbeiten wollte, wurde Katrín Jakobsdóttir vom damaligen isländischen Präsidenten Guðni Th. Jóhannesson mit der Regierungsbildung beauftragt. Sie führte 7 Jahre lang eine Koalition aus Links-Grünen, Unabhängigkeitspartei und Fortschrittspartei (knapp 11%).
Bei der nächsten Wahl im September 2021 bekamen die Links-Grünen nur noch knapp 13% und wurden drittstärkste Kraft, hinter der Unabhängigkeitspartei mit knapp 25% und der Fortschrittspartei mit gut 17%. Die drei Parteien einigten sich jedoch darauf, dass Katrín weiterhin als Premierministerin die Koalition anführen sollte.
Um als Kandidatin bei der Wahl zum Präsidenten 2024 anzutreten, trat Katrín Jakobsdóttir im April 2024 von all ihren Ämtern zurück. Bei der Wahl am 1. Juni unterlag Katrín jedoch als Zweitplatzierte Halla Tómasdóttir.
Katrín Jakobsottir und Guðni Jóhannesson vor dem Parlament (17. Juni 2022) |
Am 30. November 2024 fanden die vorgezogenen Neuwahlen zum isländischen Parlament Alþingi statt.
Die Wahllokale schlossen um 21 Uhr am Samstagabend, das vorläufige amtliche Endergebnis lag dann am Sonntagmittag vor.
Quelle: mbl.is |
Künftig sind nur noch sechs statt bisher acht Parteien im Parlament in Reykjavík vertreten. Neben der bisherigen Regierungspartei der Links-Grünen scheiterte auch die Piratenpartei an der 5%-Hürde.
Eine Fortführung der bisherigen Regierungskoalition, die seit 2017 von der Links-Grünen Ministerpräsidenten Katrín Jakobsdóttir und seit April 2024 von ihrem Nachfolger Bjarni Benediktsson angeführt wurde, ist ausgeschlossen.
Die drei bisherigen Regierungsparteien haben bei der vorgezogenen Neuwahl zusammen fast 25% verloren.
"Valkyrjurnar eru komnar til að sjá og sigra" -
"Die Walküren sind gekommen, um zu sehen und zu siegen"
Präsidentin Halla Tómasdóttir hat seit Sonntag die Parteiführer der ins Parlament gewählten Parteien zu Gesprächen in ihren Amtssitz Bessastaðir begrüßt. Wie heute bekannt wurde, wollen die drei Parteichefinnen Kristrún Frostadóttir von den Sozialdemokraten, Þorgerður Gunnardóttir von der Reformpartei und Inga Sæland von der Volkspartei ab morgen (04.12.) Koalitionsgespräche beginnen.
Kristrún und Þorgerður haben heute Nachmittag nach einem Treffen im Alþingi vor Journalisten erklärt, sie seien sich der anstehenden Probleme bewusst, aber sie glaubten, eine gute Grundlage zu haben, um zusammen eine handlungsfähige, effektive Regierung aufstellen zu können. Auch Inga äußerte sich sehr optimistisch, das Treffen sei gut verlaufen. "Die Walküren sind gekommen, um zu sehen und siegen", erklärte Inga.
Bessastaðir |
Welche Parteien wurden jetzt in Parlament gewählt?
Aktuell gibt es acht politische Parteien, die in den letzten Jahren auf nationaler Ebene von Bedeutung waren. Die Parteien auf Island haben übrigens alle einen "Listenbuchstaben" (listabókstafur), also einen Buchstaben, der als Symbol für diese politische Bewegung bei der Wahl auf dem Stimmzettel steht (neben dem Namen der Partei). Auch bei den Umfragen und Wahlergebnissen werden diese Buchstaben angegeben.
Zur stärksten Partei wurde bei der Wahl im November 2024 mit knapp 21% Samfylkingin, also die isländischen Sozialdemokraten.
Die Partei ging 2000 aus dem Zusammenschluss von vier linken Parteien hervor, darunter auch die Frauenliste, um als Gegengewicht zur Unabhängigkeitspartei zu agieren.
Die Partei positioniert sich links der Mitte und tritt für sozialdemokratische Werte, soziale Verantwortung und Frauenrechte ein.
Bei den Wahlen 2016 bekamen die Sozialdemokraten nur knapp 6% der Stimmen, 2017 kamen sie schon wieder auf rund 12% und fielen 2021 auf knapp 10% zurück.
Parteiführerin ist seit 2022 Kristrún Frostadóttir. Die 1988 geborene Wirtschaftswissenschaftlerin hat als Analystin und Chefökonomin bei verschiedenen Banken im In- und Ausland gearbeitet, trat aber zurück und ist seit 2021 Parlamentsabgeordnete der Sozialdemokraten im Wahlkreis Reykjavík-Süd. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder (geboren 2019 und 2023).
Mit 19,4% wurde die Unabhängigkeitspartei zweitstärkste Partei bei der Parlamentswahl 2024.
Die Partei vertritt wirtschaftsliberale Ziele und eine rechts-konservative Politik.
Von 1944 bis 2009 wurde die Unabhängigkeitspartei bei den Wahlen jeweils stärkste Partei im Alþingi, auch wenn sie nicht immer an der Regierung beteiligt war und niemals eine absolute Mehrheit hatte. Bei den Wahlen 2013, 2016, 2017 und 2021 war die Unabhängigkeitspartei wieder stärkste Partei mit 25 bis 30% der Wählerstimmen.
Parteiführer ist bereits seit 2009 Bjarni Benediktsson (geb. 1970). Der studierte Jurist stammt aus einer einflussreichen Familie, politisch und wirtschaftlich. Bjarni wird auch manchmal "Teflon-Bjarni" genannt, wegen der vielen politischen Skandale, die er ausgesessen hat, ohne seine Position als einer der mächtigsten Politiker Islands zu verlieren. Zuletzt gab es in seiner Zeit als Finanzminister Vorwürfe, weil beim Verkauf der staatlichen Beteiligung an der Íslandsbanki begünstigte Personen, darunter Bjarnis Vater Benedikt Sveinsson, Anteile an der Bank zu einem unter dem Marktwert liegenden Preis erwerben konnten. Bjarni übernahm die politische Verantwortung und trat als Finanzminister zurück - nur um wenige Tage später das Amt des Außenministers zu übernehmen. Bei Umfragen wurde Bjarni Benediktsson immer wieder als unbeliebtester Politik Islands genannt.
Bei der Wahl im November 2024 hart die Unabhängigkeit mit 19,4% nur die zweitmeisten Stimmen bekommen - das bisher schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei. Gegenüber der letzten Wahl hat die Partei jedoch nur 5% verloren, deutlich weniger als die anderen beiden Koalitionsparteien, die jeweils rund 10% verloren haben.
(C) - Viðreisn - Die Reformpartei
Bei der Wahl im November 2024 wurde Viðreisn mit 15,8% drittstärkste Partei.
Die Partei wurde 2016 gegründet, auch von zahlreichen ehemaligen Mitgliedern der Unabhängigkeitspartei.
Die Partei setzt sich für soziale Gerechtigkeit, liberale Werte und einen verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen ein, außerdem ist sie ausdrücklich EU-freundlich. und spricht sich immer wieder für direkte Demokratie aus.
Bei der Parlamentswahl 2016 bekam Viðreisn aus dem Stand 10,5% der Stimmen, bei den Wahlen 2017 und 2021 dann knapp 7% bzw. gut 8%.
Parteiführerin von Viðreisn ist seit 2017 Þórgerður Gunnarsdóttir. Die 1965 geborene Juristin war von 1999 bis 2013 für die Unabhängigkeitspartei Parlamentarierin im Alþingi, war auch Bildungsministerin und stellvertretende Vorsitzende der Partei. Anders als die Unabhängigkeitspartei sprach Þórgerður sich für einen langfristigen EU-Beitritt Islands aus. Seit 2016 sitzt sie für Viðreisn wieder im Parlament.
Viertstärkste Partei mit 13,8% wurde bei der Wahl im November 2024 die Volkspartei.
Gründerin der Partei und Parteiführerin ist Inga Sæland, eine sehbehinderte Juristin (geb. 1959). Ihre persönlichen Erfahrungen mit ihrer Behinderung und den damit verbundenen Schwierigkeiten und Diskriminierung im Alltag waren für sie Anlass zur Gründung der Partei. Von früheren fremdenfeindlichen Äußerungen hat sie sich mittlerweile distanziert und kritisiert selbst den Umgang mit Flüchtlingen auf Island teilweise als "grausam".
Als die Volkspartei 2016 zum ersten Mal zur Parlamentswahl antrat, bekam sie nur 3,5% der Stimmen. Bei der nächsten Wahl 2017 war die Partei bei knapp 7% und 2021 bei knapp 9%.
Auf dem fünften Platz landete mit 12,1% der Stimmen die Zentrumspartei.
Die Partei entstand 2017 als Abspaltung von der Fortschrittspartei. Die Partei will den Fokus der Wirtschaftsförderung auf die Landwirtschaft und den Tourismus legen, eine Neuordnung der Finanz- und Bankenpolitik und spricht sich vehement gegen einen EU-Beitritt aus.
Gründer und Parteivorsitzender der Zentrumspartei ist Sigmundur Davið Gunnlaugsson. Er ist 1975 geboren und hat in Island BWL studiert, anschließend war er noch an Universitäten in Moskau und Oxford, allerdings ohne dort einen Abschluss zu machen. Er arbeitete beim staatlichen Rundfunk, nach der Bankenkrise auf Island organisierte er in den sozialen Medien eine Petition für die Rechte der Isländer in Großbritannien. Er kandidierte dann 2009 als Vorsitzender der Fortschrittspartei und trat zwei Wochen vor seiner Kandidatur in die Partei ein. Seit 2009 saß er für die Fortschrittspartei im Parlament, er war von 2013 bis 2016 Premierminister von Island. Wegen Beteiligungen von ihm und seiner Frau an einer Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln trat er 2016 im Skandal um die Panama Papers zurück. Im September 2017 verließ er die Fortschrittspartei und gründete, rechtzeitig zu den Wahlen im Oktober 2017, die Zentrumspartei.
In die Schlagzeilen geriet Sigmundur wieder 2018 im Rahmen der sog. Klaustur-Affäre: Sigmundur und mehrere Parlamentarier der Zentrumspartei sowie zwei Abgeordnete der Fortschrittspartei fielen in der Bar Klaustur, gegenüber vom Parlament, durch sehr sexistische und behindertenfeindliche Äußerungen auf. Eine zufällig anwesend Isländerin bekam das lautstarke Gespräch mit, nahm es dann mit ihrem Handy auf und spielte die Aufnahme den Medien zu. Die Parlamentarier der Fortschrittspartei wurden als Konsequenz aus dem Skandal aus ihrer Partei ausgeschlossen und traten danach der Zentrumspartei bei. Die beteiligten Herren entschuldigten sich später für ihre Äußerungen, sie seien "sehr betrunken" gewesen.
Die Zentrumspartei bekam bei der Parlamentswahl 2017 aus dem Stand 10,9% und landete auf dem vierten Platz. Bei der Wahl 2021 bekam die Partei nur noch 5,4%.
(B) - Framsóknarflokkurinn - Die Fortschrittspartei
Die sechste und letzte Partei, die bei der Wahl im November 2024 über die 5%-Hürde kam, ist mit 7,8% die Fortschrittspartei.
Die Fortschrittspartei entstand bereits 1916 durch Zusammenschluss der Bauernpartei (Bændaflokkur) und der Unabhängigen Bauern (Óháðir bændur).
Die Partei vertritt die Interessen der Bauern und Fischern und ist sehr EU-kritisch. Einzelne Mitglieder fielen auch durch Äußerungen über einen möglichen NATO-Austritt Islands auf.
Die Fortschrittspartei war 2005 die erste isländische Partei, die Geschlechterquoten für beide Geschlechter einführte.
Beim Kongress der Fortschrittspartei 2015 wurde eine Beschlussvorlage der Partei vorgelegt, in der die globale Erwärmung als "spannend" bezeichnet wurde: Durch den Klimawandel seien schließlich vielfältige neue Möglichkeiten für die isländische Landwirtschaft zu erwarten und damit eine Stärkung der Landwirtschaft. Bisher wurden diese Erwartung allerdings noch nicht erfüllt...