Freitag, 24. November 2023

Zu Besuch beim 49. Island-Kolloquium in Köln 2023

Am Wochenende waren wir unterwegs und zwar waren wir dieses Jahr wieder beim Island-Kolloquium der Deutsch-Isländischen Gesellschaft (DIG) e.V. in Köln. 

Die Gesellschaft wurde 1955 gegründet als Verein für Deutsche, die sich für Island interessieren, und für Isländer, die hier in Deutschland leben. Ziel des Vereins ist die Förderung der Freundschaft beider Nationen und das gegenseitige Kennenlernen.

Seit 1971 veranstaltet die Gesellschaft das "Kölner Island-Kolloquium". 

Dabei gibt es immer vier Vorträge ganz unterschiedlicher Referenten zu allen denkbaren Themen, die mit Island oder den deutsch-isländischen Beziehungen zu tun haben.



Von deutschen Spuren und der Lage der deutschen Sprache in Island 

Den ersten Vortrag am Samstag hielt Prof. Dr. Oddný Sverrirsdóttir. Die Isländerin promovierte 1987 in Münster in Germanistik und unterrichtet heute Deutsch an der Háskóla Íslands (HÍ), der Universität von Island in Reykjavík. 

Die Spuren der Deutschen auf Island gehen zurück auf das "þýska öldin", das deutsche Jahrhundert auf Island, als deutsche Kaufleute der Hanse (vor allem aus Lübeck, Hamburg und Bremen) den isländischen Außenhandel und die Fischerei dominierten, etwa ab 1470 bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts.

Der Hauptsitz der Kaufleute der Hanse war in Hafnarfjörður, damals das Exportzentrum der Insel. Hier wurde auch 1533 die erste lutherische Kirche Islands gebaut. Die Deutschen ließen sich hier auch nieder, trieben nicht nur Handel, sondern bauten Fischfangstationen auf und stellten isländische Arbeitskräfte ein, was für die kleinen Fischerorte wirtschaftlichen Aufschwung bedeutete. Dieser Aufschwung endete jedoch mit Einführung des dänischen Handelsmonopols 1602, das es anderen Ausländern verbot, auf Island zu überwintern, Schiffe zu bauen oder Isländer als Arbeiter zu beschäftigen.


 Hafnarfjörður heute (Fotos von 2018)


Noch heute findet man, wenn man genau hinschaut, immer noch einige Ortsnamen, die auf das "deutsche Jahrhundert" zurückgehen, z.B. den Hof Þýskabúð in der Nähe von Hafnarfjörður.

Deutsch als Fremdsprache auf Island 

Früher war Deutsch auf Island sehr verbreitet. Noch bis in die 80er Jahre lernten 75% der Schülerinnen und Schüler auf Island in der Schule Deutsch als dritte Fremdsprache (nach Englisch und Dänisch). 

Seit der Schulreform 2017, bei der die Schulausbildung um ein Jahr verkürzt und der Lehrplan verschlankt wurde, wird Deutsch nur noch als drittes Wahlpflichtfach neben Französisch und Spanisch angeboten. Deutsch ist kein Kernfach, es werden von den Schülern durchschnittlich 3 Kurse besucht, mit erheblich weniger Wochenstunden als früher, und an den meisten Schulen kann man in Deutsch nur noch A2-Niveau erreichen, an wenigen Schulen noch B1. Heutzutage ist Spanisch als dritte Fremdsprache viel beliebter - was wahrscheinlich auch mit den Lieblingsreisezielen vieler Isländer (Spanien, Teneriffa) zusammen hängt. 

Die Zahlen sind eindeutig:

Im Schuljahr 2002/2003 lernten noch 53% der Schüler Deutsch und 47% Französisch oder Spanisch. Im Schuljahr 2018/2019 lernten nur noch 39% der Schüler, die eine dritte Fremdsprache lernen, Deutsch, dafür 45% Spanisch und 16% Französisch. Zudem ist die Zahl der Schüler, die überhaupt eine dritte Fremdsprache lernen, in den letzten rund 20 Jahren um 12% zurückgegangen. 

Es stellt sich die Frage, wie geht man mit dieser Entwicklung um, gibt es den Bedarf für Deutsch nicht mehr, gibt es nur keine adäquaten Angebote, was kann man tun, um die deutsche Sprache auf Island weiter lebendig zu halten. 


Laus blöð / Lose Blätter 

Der zweite Beitrag am Samstag in Köln war ein Gespräch des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Herausgebers Wolfgang Schiffer (geb. 1946) mit dem isländischen Künstler Ragnar Helgi Ólafsson (geb. 1971 in Reykjavík). Ragnar arbeitet als Bildender Künstler, Grafikdesiger, Musiker, Verleger und Schriftsteller. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 2013, sein erster Gedichtband folgte 2015. 

Thema des Gesprächs in Köln war vorrangig sein aktueller Gedichtband "Laus blöð", auf Deutsch "Lose Blätter", der 2021 im isländischen Original erschienen ist und im September 2023 jetzt in deutscher Übersetzung. 

In dem Buch geht es um die "losen Zettel", die jeden Menschen im Laufe seines Lebens auf seinem Weg begleiten. Von Gelegenheitsdichtungen über Weltuntergangstexte, Erinnerungen, Liebeslieder, Totengedichte und Grabinschriften bis hin zu Schlafliedern und Spottversen. Lange Texte über mehrere Seiten - und kurze Texte, die in vier Zeilen alles sagen, was sie zu sagen haben. Gedichte und Texte aus verschiedenen Zeiten. 

Jedes Exemplar der Bücher enthält übrigens ein individuelles, nur für dieses Buch gedruckte Lesezeichen mit einem Vorschlag, in welcher Reihenfolge die Texte in dem Buch gelesen werden sollten. Ragnar Helgi empfiehlt, sich beim Lesen an die Reihenfolge zu halten - so kann jeder Leser quasi sein ganz eigenes Buch lesen. Auf Nachfrage erklärte Ragnar Helgi, dass die Reihenfolge computergeneriert ist. 


Zum Abschluss des Gesprächs lasen Wolfgang Schiffer und Ragnar Helgi Ólafsson ein Gedicht synchron vor, der eine die deutsche Übersetzung, der andere das isländische Original. Ich habe zwar auf keiner Sprache mitbekommen, worum es in diesem Gedicht inhaltlich ging, aber es war einfach ein wunderschöner Ohrenschmaus beim Zuhören, diese rhythmisch stampfenden Zeilen auf Deutsch und Isländisch, fast wie ein Sprechgesang. Einfach nur toll! 

Ich verstehe ja nicht wirklich etwas von Lyrik und Poesie, mir fehlt da oft der Zugang, entsprechend hatte ich auch nicht viele Erwartungen an diesen Programmpunkt - ich war aber tatsächlich richtig begeistert davon. Und das ging nicht nur mir so!


Island - Leben auf der Insel am Nördlichen Polarkreis  

Den dritten Vortrag des Tages hielt Gisela Schwarz, eine deutsche Journalistin und Fotografin. Sie reiste 2008 zum ersten Mal nach Island, 

In ihrem Multivisionsvortrag erzählte Gisela Schwarz über das Leben auf der Insel, in einem Land mit so viel geothermaler Energie, scheinbar endlosen Lavalandschaften, ursprünglicher Tierwelt und zunehmend wachsendem Tourismus.

Der Schwerpunkt des Vortrags lag darauf, wie sie im Laufe der letzten 15 Jahre das Leben ihrer isländischen Freunde erlebt und in Fotos dokumentiert hat - Geschichten von Menschen, Pferden, Schafen und Fischen.

Und natürlich von der Eiderente (æður) und den isländische Bauern, die diese Tiere mit Nisthilfen anlocken, ihnen eine sichere Brutstätte bieten, für Schutz vor Raubtieren sorgen - und dafür die Eiderdaunen ernten dürfen, die Federn aus dem Brustgefieder der weiblichen Eiderente, die damit ihr Nest auspolstert. Die Struktur dieser Daunen ist besonders wärmedämmend - und das teuerste Füllgut für Daunendecken und Daunenbekleidung. Deswegen werden die Daunen der Eiderenten teilweise auch "Islands Gold" genannt. 


Aktuelle isländische Sportler und Rituale  

Der letzte Vortrag des Tages stammte von Reiner Josef Schmidt, einem Psychologen, der u.a. als Verfahrensbeistand Beratungen für Trennungsfamilien anbietet. 

In seiner persönlichen Doppelrolle als Psychologe und Sportler sprach Schmidt über Sport und stellte einige bekannte isländische (Ex-)Sportler vor, insbesondere Rúrik Gíslason (geb. 1988), dem ehemaligen Fußballer, der für die isländische Nationalmannschaft gespielt hatte und für den 1. FC Nürnberg und den SV Sandhausen in der zweiten Bundesliga und später in Deutschland als Sieger der Tanzshow Let's Dance 2021 populär wurde. Heute ist der Ex-Sportler Mitbegründer einer Gin-Firma, führt sein eigenes Modelabel und singt in einer isländischen Boyband

Kurz vorgestellt wurde auch Alfreð Gíslason (geb. 1959 in Akureyri), der 190 Spiele für die isländische Handball-Nationalmannschaft bestritt und seit mittlerweile 30 Jahren erfolgreich als Trainer arbeitet, seit 2020 als Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft. 

Er stellte auch Sportler aus anderen Sportarten auf Island vor - von Turnen über Basketball bis zum Angeln.




Wir haben die Veranstaltung und viele Gespräch rund um das Kolloquium auf jeden Fall genossen und konnten viele neue Anregungen mitnehmen. 


P.S.:

Wir waren nicht das erste Mal zu diesem Anlass in Köln, tatsächlich waren wir schon beim 46. Kolloquium 2019 und beim 47. Island-Kolloquium 2021, meine Bericht über die Veranstaltungen findet Ihr natürlich auch hier am Blog. 




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