Der alt-isländische Kalender kannte nur zwei Jahreszeiten, Winter und Sommer. Der Winter dauerte von Mitte Oktober bis Mitte März, der Sommer war dann von Mitte März bis Mitte Oktober. Allerdings waren die Sommer auf Island immer kurz und oft nicht besonders warm, während die Winter lang und kalt und voller Entbehrung waren.
Entsprechend wurde das Alter eines Menschen damals auf Island auch nach der Anzahl der Winter, die er schon überlebt hatte, angegeben. Das haben wir auch gerade noch im Isländisch-Unterricht geübt, wo wir derzeit eine Kinder-Version der Egilssaga lesen, als der große Wikinger bereits im zarten Alter von 7 Jahren seinen ersten Mann erschlug: "Egill var á sjöunda vetri", Egill war in seinem 7. Winter, als er seinen ersten Mord beging.
Der vierte Wintermonat Þorri
Der alt-isländische Wintermonat Þorri beginnt am Freitag zwischen dem 19. und dem 26. Januar, mit der 13. Winterwoche. Dieser "Dürremonat" war damals der Monat, in dem alle Vorräte endgültig aufgebraucht wurden und es noch nichts Neues, Frisches zu essen gab.
Früher feierte man in diesem Monat ein großes heidnisches Opferfest, das Þorrablót, das Opferfest im Monat Þorri. Oder für den Monat Þorri, mit dem man versuchte, diesen kalten Wintermonat ein wenig milde zu stimmen, dass er nicht gar zu grimmig war. Die Menschen schmückten ihre Häuser, ähnlich wie zu Weihnachten oder zu Ostern. Es gab auch spezielle Bräuche. So hüpften die Bauern am bóndadagur, dem ersten Tag des Monats Þorri, nur im Hemd und mit einem Hosenbein, barfuß ums Haus, zogen das andere Hosenbein hinter sich her und markierten so ihren Hof und ihren Besitz, und hinterher bekamen sie von ihren Frauen besonders leckeres Essen wie sauer eingelegte Hammelhoden oder gesengten Schafskopf. Und frisch gebackenes Flatbrauð.
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Flatbrauð in der Wikinger-Küche in Haitabu (Mai 2024) |
Außerdem wurde reihum auf den Höfen noch einmal gefeiert, mit all den traditionellen Gerichten, die im Winter lange haltbar waren - Lebensmittel wie Blut- und Leberwurst, Hommelhoden, Walfleisch oder Seehundflossen, die in saure Molke eingelegt wurden und so lange haltbar gemacht. Als "Ehrengast" beim Þorrablót galt immer der Wintermonat Þorri selbst, der mit diesem Opferfest gnädig gestimmt werden sollte.
Diese traditionellen isländischen Bräuche rund um das Opferfest Þorrablót wurden offenbar im Laufe der Christianisierung weitgehend verdrängt.
Das erste überlieferte Þorrablót der Neuzeit fand dann erst 1873 statt, veranstaltet von einer Gruppe isländischer Studenten. Etwa ab 1880 feierte die isländische Gesellschaft für Altertumskunde alljährlich ein festliches Þorrablót. In den 1950er Jahren veranstalteten auch lokale Heimatvereine festliche Þorrablóts zu diesem Anlass. Ab 1958 bot das Restaurant Naustið in Reykjavík, auf Initiative eines der Besitzer, Halldór S. Gröndal (1927 - 2009), dann Þorramatur an, um auch den Stadtbewohnern die Möglichkeit zu geben, diese traditionellen Speisen kennenlernen zu können.
Heute veranstalten lokale Vereine ihre Þorrablót-Feste überall auf dem Land. Man bekommt aber auch fast alles, was man für ein zünftiges Þorrablót zu Hause mit Freunden oder Verwandten braucht, mittlerweile problemlos im Supermarkt:
In einem 2-Liter-Eimer kann man verschiedenes súrmatur kaufen, also in sauer in Molke eingelegte Fleischprodukte. Und wenn man sich nicht an den 2-Liter-Eimer traut, kann man auch kleinere Mengen kaufen, z.B. ein Þorrabakki, also ein Probier-Tablette mit verschiedenen traditionellen Þorramatur-Gerichten.
Typische Þorramatur-Gerichte sind z.B. über Schafsdung geräuchertes Lammfleisch (hangikjöt), Salzfleisch (saltkjöt), Sülze wie z.B. Schafskopfsülze (sviðasulta), sauer eingelegte Widderhoden (súrsaðirhrútsprungar), verschiedene Blut- und Leberwurstgerichte (blóðmör og lifrapylsa),
und Rollfleisch (lundabaggar), aber auch Fischgerichte wie Trockenfisch (harðfiskur) und Gammelhai (hákarl).
Traditionelle Beilagen zum Þorrablót sind oft Rübenstampf (rófustappe) und Kartoffelbrei (kartöflumús), außerdem das typisch-isländische süße Roggenbrot (rúgbrauð) und dünnes Fladenbrot (flatbrauð).
Außerdem trank man dazu früher reichlich hochprozentigen Alkohol, wie z.B. Brennivín.
Ein Rezept für ein typisches Þorrablót-Gericht habe ich in einem alten Kochbuch gefunden, allerdings aus diversen Gründen tatsächlich nicht selbst ausprobiert:
Für die sauereingelegten Widderhoden in Sülze (hier rechts auf dem Teller) werden im Herbst die Hoden der frischgeschlachteten Schafe in kochendes Salzwasser gegeben und ca. eine Stunde lang kochen gelassen. Anschließend werden die gekochten Hoden mit einem Schöpflöffel aus der Brühe geholt. Aus etwas Brühe wird dann mit Salz und Aspik das Gelee zubereitet. Die gekochten Hoden werden dann in ein großes Gefäß gegeben (z.B. gebrauchte 2-Liter-Eimer von súrmatur), mit dem Gelee übergossen und etwas Schweres zum Pressen daraufgelegt. Wenn das Gelee fest geworden ist, schneidet man die Sülze in dicke Scheiben und übergießt sie reichlich mit Molke. Die Molke wird dann zuerst nach ca. 2 Wochen, dann nach ca. 6 bis 8 Wochen regelmäßig gewechselt und im Januar sind die sauereingelegten hrútsprungar dann fertig zum Genuss. Oder zum Verzehr, wie man es nimmt.
Und am 23. Februar 2025 fängt schon der nächste, der fünfte Wintermonat an, der Monat Góa. Dieser Monat beginnt am Sonntag in der 18. Winterwoche, also heute zwischen dem 18. und dem 24. Februar. Am ersten Tag dieses Monats feiert man auf Island den konudagur, also den "Frauentag".
Auf Island gibt es übrigens eine Wetterregel, es heißt, es soll einen guten Sommer geben, wenn der Frauentag stürmisch war und das Wetter an den ersten Tagen dieses Monats schlecht. Schauen wir mal, wie das Wetter am Sonntag wird - und wie der Sommer 2025 wird.