Jetzt wird es hier mal ganz kulinarisch-historisch:
Es gibt Kleinur nach einem Rezept, das fast 222 Jahre alt ist. Das Rezept stammt aus dem ältesten isländischen Kochbuch - erschienen im Jahr 1800.
Als Autor steht auf dem Kochbuch der Name von Marta María Stephensen.
Marta María Stephensen (1770 - 1805)
Marta María Diðriksdóttir Hölter Stephensen war die Tochter eines dänischen Kaufmanns, der auf Island Handel trieb. Im Juni 1790 heiratete Marta Maria in Kopenhagen den isländischen Juristen Stéfan Stephensen (1767 - 1820) - allerdings ohne Wissen seiner Eltern. Nach der Hochzeit ging das Paar nach Island und lebte am Borgarfjörður, zuerst bei Akranes und Borganes, später in Hvítarvellir an der Mündung des Flusses Hvítá. Hier starb Marta María im Juni 1805 im Alter von 34 Jahren, nach 15 Jahren Ehe, bei der Geburt ihres 10. Kindes. Bis auf ein Kind überlebten alle ihre Kinder, 5 Söhne und 4 Töchter.
Ihr Schwager, Magnús Stephensen (1760 - 1833), war ebenfalls Jurist und wurde 1801 zum Vorsitzenden Richter des neu geschaffenen Obersten Gerichts Island ernannt. Außerdem gab er mehrere Zeitschriften heraus, setzte sich sehr für die Bildung ein, schieb etliche Bücher über Jura, Geschichte und Theologie und besaß sogar eine eigene Druckerei.
In dieser Druckerei erschien im Jahr 1800 auch das "einfache Kochbuch für Hausfrauen gehobener Herren".
Das Buch war das erste gedruckte isländische Kochbuch - und das erste Buch einer isländischen Frau, so heißt es zumindest. Allerdings gilt es mittlerweile als gesichert, dass der größte Teil des Kochbuch in Wirklichkeit im Winter 1783/84 von Magnús selbst geschrieben wurde, möglicherweise später von Marta María noch ergänzt. Magnús veröffentlichte das Kochbuch dann unter dem Namen seiner Schwägerin.
Warum Magnús seine Schwägerin Marta María Stephensen als Autorin angab, weiß ich leider nicht - ob er Bedenken hatte, dass es seiner doch sehr erfolgreichen Karriere als Jurist schaden könne, wenn bekannt würde, dass er ein Kochbuch geschrieben hatte..? Oder dachte er, ein Kochbuch für die gehobene Hausfrau würde von den potentiellen Käuferinnen nicht gekauft, wenn es ein Mann geschrieben hätte..?
Magnús selbst schrieb dazu nur in seiner Biografie, dass er das Buch im Namen von Marta María herausgegeben habe, weil es "besser zu ihr gepasst habe".
Das Buch findet man heute online als pdf-Dokument im Internet.
§ 97 - Kleinur
Das Rezept für Kleinur liest sich allerdings für heutige Verhältnisse erstaunlich unpräzise:
Für die Kleinur braucht man Weizenmehl, je nachdem, wie viele es werden sollen, etwas geriebene Zitronenschale, wenn vorhanden, 3 oder 4 Esslöffel Sauerrahm, eine kleine Faust voll Zucker und einige Eier.
Alle Zutaten werden dann zu einem glatten Teig verknetet, dünn ausgerollt und mit einem Messer in Streifen geschnitten. Man macht dann zwei Schnitte in den Teig und zieht jeweils die Enden durch. Anschließend werden die Kleinur in zerlassener Butter gesotten, bis sie gut obenauf schwimmen und ausreichend gebacken erscheinen. Die Kleinur isst man dann kalt und ggf. noch mit Zucker bestreut.
Mit den doch sehr vagen Mengenangaben eine gewisse Herausforderung..! Ich habe ein bisschen herumprobiert, mit heutigen Rezepten verglichen, und herausgekommen ist dann diese Version für "Kleinur anno 1800".
Zutaten
340 g Mehl
1 TL geriebene Zitronenschale
3 EL Sauerrahm
80 g Zucker
3 Eier
500 g Butter
Zubereitung
Alle Zutaten für den Teig (Mehl, Zitronenschale, Sauerrahm, Zucker und Eier) zusammen in eine Schüssel geben und zu einem geschmeidigen Teig verkneten.
...in Streifen schneiden und in jedes Teig-Stück dann zwei Einschnitte machen.
Beide Enden dann jeweils durch den Einschnitt ziehen und in sich "verzwirbeln".
In einem Topf die Butter schmelzen lassen...
Nach Geschmack noch mit etwas Zucker bestreuen und ausgekühlt genießen.
Ich finde es ja ein bisschen schwierig, dieses Kleinur-Rezept von 1800 mit heutigen Kleinur-Rezepten zu vergleichen. Die Mengenangaben (ausreichend Mehl, genügend Eier - aber 3 - 4 EL Sauerrahm und eine kleine Handvoll Zucker) sind doch sehr unpräzise, so dass ich nicht sagen kann, ob diese Kleinur wirklich weniger süß waren als heutige Kleinur.
Ein wesentlicher Unterschied ist auf jeden Fall die Form - länger und schmaler als heute, aber dafür eben zweifach durchgezogen.
Zum Vergleich - ein modernes Kleina |
P.S.: Woher kommt der Name "kleinur" eigentlich?
In Dänemark heißen sie "klejner", in Schweden "klenäter", auf den Färöern "kleynur" und auf Island sind es eben "kleinur". Der Name bedeutet wohl so viel wie "schmal" oder "schlank". In Norwegen heißt das Gebäck übrigens "fattigman", was soviel wie "armer Mann" bedeutet - man sagt, die Zutaten waren so teuer, dass man arm wurde, wenn man dieses Gebäck zubereitete.
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