Frauenstreik auf Island
Die bisherigen Frauenstreiks auf Island fanden 1975, 1985, 2005, 2010, 2016 und 2018 statt.
Wie beim ersten Mal 1975 legten auch 2023 die Frauen den ganzen Tag die Arbeit nieder. Im Jahr 2005 hatten die Frauen erst um 14.08 Uhr die Arbeit nieder gelegt, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie - bei gleichem Lohn wie Männer - nur bis zu dieser Uhrzeit für ihre Arbeit bezahlt wurden. Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen verringerte sich in den folgenden 11 Jahren immerhin um 30 Minuten - beim Frauenstreik 2018 streikten die Frauen erst ab 14.38 Uhr. Wenn die Entwicklung in diesem Tempo weiterginge, wäre die finanzielle Gleichstellung schon im Jahr 2068 erreicht - also nur noch schlappe 45 Jahre...
Kvennafrídagurinn 1975
Der erste Frauenstreik (eigentlich: der erste Freie Tag für Frauen) auf Island war am 24. Oktober 1975. An diesem Tag versammelten sich rund 25.000 Frauen (damals über 10% der gesamten isländischen Bevölkerung) zu einer Demonstration auf dem Lækjatorg in Reykjavík, auf dem Platz schräg gegenüber dem Arnarhóll.
Die isländischen Frauen legten an diesem Tag ihre Arbeit nieder, sowohl die bezahlte als auch die unbezahlte Arbeit, und forderten Gleichberechtigung, eine gerechte Bezahlung und bessere Kinderbetreuung.
Zu dem Streik aufgerufen hatten damals fünf Frauenorganisationen. Der Vorsitzende des isländischen Gewerkschaftsbundes sicherte der Aktion seine Unterstützung zu, einige Gewerkschaften leisteten auch finanzielle Unterstützung. Und der Frauenstreik stieß auf eine breite Unterstützung - und schuf so ein gesellschaftliches Klima, in dem fünf Jahre später Vigdís Finnbogadóttir als erste Frau weltweit zum Oberhaupt eines Landes gewählt wurde (und das auch noch als geschiedene Frau und alleinerziehende Mutter eines Adoptivkindes). Island war also schon damals führend in Sachen Gleichberechtigung.
Island ist seit Jahren Spitzenreiter in Sachen Gleichberechtigung weltweit
Mittlerweile ist die Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere auch auf dem Arbeitsmarkt, nirgendwo auf der Welt größer als in Island.
Seit 2009 führt Island jedes Jahr den Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums an als das Land mit der weltweit geringsten Ungleichheit bei der Bezahlung. Bei diesem Report wird das Ausmaß der geschlechtsspezifischen Unterschiede untersucht in den Bereichen Wirtschaftliche Teilnahme und Teilhabe, Zugang zu Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung sowie politische Teilhabe.
Trotzdem ist auch in Island noch keine Gleichstellung erreicht und gerade in letzter Zeit gab Rückschritt, eine wachsende Intoleranz, Vorurteile, Benachteiligungen und sexuellen Übergriffe gegenüber Frauen und nicht-binären Personen nahmen wieder zu - daher jetzt der erneute Aufruf zu einem ganztägigen Frauenstreik auf Island, um die Gleichstellung der Geschlechter wieder in den Vordergrund zu stellen.
Obwohl Frauen auf Island mittlerweile im Schnitt besser ausgebildet sind als Männer und es seit November 2017 hier ein Equal-Pay-Gesetz gibt (wonach Unternehmen mit mindestens 25 Mitarbeitern nachweisen müssen, dass sie Männern und Frauen in gleicher Position mit vergleichbarer Ausbildung dasselbe Gehalt zahlen), verdienen Frauen im Schnitt immer noch 17% weniger als Männer. Das liegt hierzulande weniger daran, dass Frauen Teilzeit arbeiten würden, sondern vorwiegend daran, dass Berufe mit hoher Frauenquote systematisch schlechter bezahlt werden.
Männer können auch ohne Ausbildung in der Fischerei oder der Aluminiumindustrie arbeiten und dort relativ gut verdienen - Frauen ohne anerkannte Ausbildung (oft Migrantinnen) haben diese Möglichkeit nicht und arbeiten eher im Tourismus, z.B. als Reinigungskraft in Hotels, und werden dort deutlich schlechter bezahlt. Migrantinnen arbeiten im Schnitt mehr als andere Frauen, haben unregelmäßigere Arbeitszeiten - kennen oft ihre Rechte nicht oder können sie nicht einfordern und verdienen schlechter als andere.
Fakten über die Situation von Frauen, Mädchen und nicht-binären Personen auf Island
Das Arbeitseinkommen von Frauen in Island ist immer noch um 21% niedriger als das von Männern.
70% der alleinerziehende Mütter können unerwartete Ausgaben von 80.000 ISK (ca. 540 €) nicht bestreiten.
Mindestens 40% der Frauen erleben im Laufe ihre Lebens geschlechtsspezifische Gewalt oder sexuelle Belästigung.
Jedes sechste Mädchen wurde bis zur zehnten Schulklasse von Gleichaltrigen sexuell missbraucht.
Frauen mit Behinderungen erleben mehr Gewalt als andere Frauen.
Frauen ausländischer Herkunft arbeiten im Schnitt mehr und haben unregelmäßigere Arbeitszeiten als andere Frauen in Island.
Nicht-binäre Personen fühlen sich auf dem Arbeitsmarkt nicht sicher und trauen sich aus Angst vor Ausgrenzung nicht, am Arbeitsplätz sie selbst zu sein.
Forderungen der Streikenden 2023
Beim Frauenstreik am 24. Oktober 2023 wird die Beseitigung geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt gefordert und die Wertschätzung der Arbeit von Frauen und nicht-binären Personen ("konur og kvár").
Es geht darum, auf den Beitrag aufmerksam zu machen, den diese Gruppe für die Gesellschaft leistet, Tag für Tag - und der manchmal übersehen und sehr oft unterbewertet wird.
Þriðja vaktin - die dritte Schicht
Die Aufmerksamkeit wird auf die "emotionale Arbeit" gelenkt, die überwiegend von Frauen geleistet wird, Stichwort "mental load". Erst kommt die Erwerbsarbeit (die erste Schicht), dann kommt der Haushalt (die zweite Schicht) - und dann haben Frauen immer noch nicht "Feierabend" und "frei", denn die "dritte Schicht" dauert 24 Stunden, 7 Tage die Woche.
In der Regel sind auch auf Island die Frauen diejenigen, die für die Organisation des Haushalts zuständig sind, dafür, dass im Familienalltag alles reibungslos läuft, die Kinder mit sauberer Kleidung und Hausaufgaben pünktlich zur Schule kommen, der Kühlschrank gefüllt ist, für alle vernünftiges Essen auf den Tisch kommt und das Geschenk für die nächste Einladung besorgt ist. Wenn dann noch die Wohnung blitzt und zu Weihnachten mindestens 6 Sorten Kekse auf dem Tisch stehen - perfekt!
Teilweise wird in diesem Kontext von "unbezahlter Sorgearbeit" gesprochen, die meistens die Frauen leisten und die in der Gesellschaft von vielen nicht geschätzt, oft nicht einmal wahrgenommen wird.
Und auch hierum geht es bei dem Frauenstreik 2023 - diese Arbeit, diese "dritte Schicht", die Frauen leisten, sichtbar zu machen und die gesellschaftliche Würdigung einzufordern.
Sexuelle Gewalt und Strafverfolgung
Ziel des Frauenstreiks 2023 ist es auch, auf die sexuelle Gewalt aufmerksam zu machen, der Frauen ausgesetzt sind - und in besonderem Maße behinderte Frauen, ausländische Frauen und nicht-binäre Personen.
Die Streikenden werfen der isländischen Justiz Unfähigkeit vor, wenn es um Ermittlungen von Straftaten, Strafverfolgung und faire Verfahren geht.
Seit 2010 gibt es einen nahezu linearen Anstieg bei den gemeldeten Vergewaltigungen (mit einem kurzzeitigen Rückgang während der Corona-bedingten Quarantänebeschränkungen): Während 2015 im ganzen Jahr noch 126 Vergewaltigungen angezeigt wurden (rund 40% mehr als im Vorjahr 2014), waren es im Jahr 2022 allein in den ersten 6 Monaten bereits 125 Vergewaltigungen, die angezeigt wurden. Jede vierte Frau in Island wurde bereits mindestens einmal Opfer einer Vergewaltigung oder einer versuchten Vergewaltigung. Laut Statistik fanden übrigens 66% der Vergewaltigungen im Hauptstadtgebiet statt und 65% zwischen 18 Uhr abends und 6 Uhr morgens.
Seit 2018 gilt auf Island übrigens auch eine neue, geänderte Definition von Vergewaltigung: "Wer Geschlechtsverkehr oder andere sexuelle Handlungen mit einer Person ohne deren Zustimmung vornimmt, macht sich der Vergewaltigung schuldig." Nach alter Rechtslage handelte es sich nur dann um eine Vergewaltigung, wenn die sexuelle Handlung unter Anwendung von Gewalt, Drohungen oder anderen Zwängen vorgenommen wurde. Bei der Abstimmung im Alþingi stimmten im März 2018 tatsächlich 97,9% der Abgeordneten für diese Gesetzesänderung.
Ég þori, get og vil!
Unter diesem Motto ("Ich traue mich, ich kann und ich werde!") fanden am Dienstag im ganzen Land fanden anlässlich des Frauenstreiks Veranstaltungen statt, von Akureyri über Raufarhöfn bis Vestmannaeyjar. Die größte Versammlung fand in Reykjavík ab 14 Uhr auf dem Arnarhóll statt. Insgesamt versammelten sich etwa 100.000 Menschen - also mehr als 1/4 der gesamten Bevölkerung des Landes.
Auch die isländische Premierministerin Katrín Jakobsdóttir (hier auf dem Foto mit dem Präsidenten Guðny Jóhannesson bei den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag am 17. Juni) beteiligte sich am Frauenstreik 2023 - um Solidarität mit allen Frauen auf Island zu zeigen und den Unmut über die immer noch mangelnde Gleichberechtigung zum Ausdruck zu bringen.
Es gibt immer noch viel zu tun, um das Ziel der Lohngleichheit für die Geschlechter zu erreichen, und es ist für die Premierministerin unverständlich, dass dieses Ziel auch im Jahr 2023 immer noch nicht erreicht ist - 48 Jahre nach dem ersten Frauenstreik auf Island.
Derzeit sei die Regierung dabei, bei staatlichen Bediensteten die Besoldung traditioneller Frauenberufe im Vergleich zu traditionellen Männerberufen zu überprüfen, insbesondere im Hinblick auf die Bewertung und Eingruppierung.
Beispielswese Erzieher ist auf Island ein akademischer Beruf, für den an ein abgeschlossenes Studium braucht - trotzdem werden Erzieher*innen vergleichsweise schlecht bezahlt und man sucht händeringend Personal.
Hier hat sich seit dem ersten Streik vor 48 Jahren scheinbar erschreckend wenig getan - schon damals war es ein Thema der Streikenden, warum kaum Männer dieses Studium absolvieren, um hinterher bei schlechter Bezahlung als Erzieher zu arbeiten.
P.S.: Kvennafrídagurinn - der freie Tag der Frauen
Formell ist es kein offizieller, genehmigter Streik. Allein schon aus formal-rechtlichen Erwägungen. Aber dem Aufruf folgten so viele, dass schon im Vorfeld feststand, dass kaum ein Chef seine Mitarbeiterinnen für die Teilnahme am Frauenstreik bestrafen würde, das Gehalt kürzen oder ähnliches.
Manche Firmen untersagten ihren Mitarbeiterinnen allerdings die Teilnahme am Streik bzw. kündigten Gehaltskürzungen an, so z.B. in einer Buchhandlung in Akranes. Daraufhin erschienen hier die Mitarbeitrinnen am Streiktag mit ihrem Strickzeug zur Arbeit und bedienten zwar die Kunden, aber alle andere Arbeit blieb liegen, weil die Frauen zusammen saßen, strickten und redeten - auch bei den Kunden fand das Unterstützung.
Wir persönlich haben am Dienstag hier wenig vom Frauenstreik mitbekommen - z.B. die Schulschließungen und der Notdienst bei der Kinderbetreuung oder im medizinischen Bereich betrafen uns nicht, auch nicht die Ausfälle im öffentlichen Nahverkehr etc.
Wir waren auf Touristen-Tour mit unserem Besuch am Geysir - da fiel uns schon auf, dass im Servicebereich im Café und im Restaurant ausschließlich Männer bedienten. Allerdings fiel uns das auch nur auf, weil wir darauf geachtet haben und wussten, dass an dem Tag Frauenstreik war - irgendwelche Schilder, die z.B. auf den Streik hingewiesen hätten, gab es nicht.
Im Vorfeld hatten wir uns ja schon Sorgen gemacht, ob unser Pizza-Abend am Dienstag ausfallen müsste. Tatsächlichen waren fünf Filialen von Domino's aufgrund des Frauenstreiks geschlossen. Die Filiale hier in Selfoss war aber geöffnet - tatsächlich waren hier ausschließlich Männer bei der Arbeit zu sehen, als wir unsere bestellten Pizzen abgeholt haben.
Quelle: domino.is |
Denn daran, dass es immer noch überwiegend die Frauen sind, die in den Familien die "dritte Schicht" übernehmen, hat sich bis heute viel zu wenig geändert.
Milchwerbung mit traditionellen Rollenbildern (Skyrland) |
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