Der Fährmann: Ósmann - der neue Roman von Joachim B. Schmidt
Es war zwar nicht der Anlass für unseren spontanen Urlaub in Nord-Island, aber wenn ich schon nach Sauðárkrókur komme, war es mir doch ein echtes Bedürfnis, einem ganz besonderen Mann einen kurzen Besuch abzustatten: Jón Magnússon, genannt Ósmann.
Auf unserem Weg über die Straße 75 (Sauðárkróksbraut) von Sauðárkrókur nach Helluland sind wir, kurz vor der Abzweigung der Straße 764 (Hegranesvegur), an einem kleinen Parkplatz mit wunderbarer Aussicht auf den Skagafjörður vorbei gekommen.
Hier wollte ich hin! Hier am Fabelstrand, mit Blick auf die beiden Brücken, die mittlerweile den Fluss überbrücken, der hier ins Meer fließt, steht nämlich die große Statue von Jón Ósmann, dem Fährmann über den Vestur-Ós, die westliche Flussmündung.
Wer war Jón Ósmann?
Auf den großen Schautafeln am Parkplatz erfährt man ein bisschen über das Leben dieses Fährmanns, der als der Fährmann mit der längsten Dienstzeit in Island gilt, fast 40 Jahre, und als "der Berühmteste aller isländischen Fährmänner".
Jón Magnússon wurde am 6. November 1862 geboren, auf dem kleinen Hof Utanverðunes auf der Halbinsel Hegranes, ein Stück in Richtung der Ostseite der Halbinsel, als Zweitältestes von fünf Kindern der Eheleute Magnús Árnason und Sigurbjörg Guðmundsdóttir.
Jón wuchs auf dem elterlichen Bauernhof auf und unterstützte seinen Vater schon früh bei der Arbeit mit der Seilfähre, mit der von der Westseite von Hegranes die Menschen, Tieren und Waren oft unter gefährlichen Bedingungen über die Flussmündung (ós) der westlichen Bezirkswässer von Hegranes auf die andere Seite nach Sauðárkrókur und zurück übergesetzt wurden. Er arbeitete schließlich fast 40 Jahre lang hier als Fährmann und wurde zu Ósmann, zum "Mann der Flussmündung".
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Gamla Botna - die Alte Seilfähre |
Hier auf der Schautafel gibt es ein Foto der alten Seilfähre, die vom Fährmann mit Hilfe eines Drahtes / Seils und einer Kurbel über den Fluss gezogen wurde, immer schräg gegen die Strömung. Auf dem Bild befördert der Fährmann drei Männer mit ihren Pferden und ihren Waren über den Fluss. Da die Arbeit viel Kraft erforderte, konnten nur besonders starke und zähe Männer als Fährmann arbeiten- Die Arbeit war anstrengend. Tag und Nacht, besonders während der Handelssaison im Frühjahr und im Herbst musste er oft Reisende über den Fluss bringen.
Jón war ein großer Mann, so wird es berichtet, etwa 2 Meter groß und stark, mit dem "Gewicht eines Trolls", so steht es zumindest auf der Info-Tafel am Parkplatz, aber freundlich und meist gelassen. Er wurde gerufen, wenn jemand über den Fluss übersetzen wollte, und da der Weg vom elterlichen Hof bis zur Fähre nicht ganz kurz war, baute er sich eine Unterkunft, eine kleine Hütte in der Nähe der Anlegestelle der Fähre, die Gegend nannte er Furðustrandir, gewissermaßen den "Fabelstrand".
Er war ein besonderer Mensch - ein getreuer Fährmann, Freund, Sohn, Mann und Vater, außerdem auch ein Mann der Worte, aber nicht unbedingt ein Mann vieler Worte - ein Dichter, ein Trinker und ein erfolgreicher Jäger von Vögeln, Fischen und Robben. An der Schautafel ist ein Bild angebracht, das Ósmann und einen Freund, den Bezirksarzt Jónas Kristjánsson, mit ihren Waffen zeigt, im Vordergrund eine erlegte Robbe, deren Alter mit "drei Winter alt" angegeben wird, wie es eben damals üblich war.
Ósmann war großzügig und gastfreundlich, er war bekannt dafür, dass er seinen frischen Fang im Laufe des Tages großzügig verschenkte an Leute, von denen er fand, dass sie es nötiger hatten als er - ebenso wie er seinen Alkohol, seine "braune Flasche", oft mit anderen teilte.
Immer wieder kamen Menschen bei dem Versuch, die oft sehr gefährliche Flussmündung hier zu überqueren, mit der Fähre oder auf eigene Faust mit dem Pferd oder zu Fuß, ums Leben. Allein im 19. Jahrhundert ertranken nachweislich mindestens 50 Menschen hier in den Héraðsvötn, den Bezirkswassern. Immer wieder forderte der Fluss seine Opfer. Daher forderte Ósmann vehement, das endlich eine Brücke über den Fluss gebaut werden sollte. Er schrieb deswegen sogar an Hannes Hafstein, den ersten isländischen Premierminister von 1904 bis 1909 und dann wieder von 1912 bis 1914.
Schließlich kam die Brücke - aber zu spät für Ósmann, sie wurde erst nach seinem Tod gebaut.
Jón Ósmann starb am 24.04.1914 im Alter von 51 Jahren.
Wie es auf der Schautafel am Denkmal heißt: Er beendete sein Leben in dem Fluss, über den er mit der Fähre übergesetzt und mit dem er in vier Jahrzehnten gekämpft hatte.
Jón Magnússon, genannt Ósmann, wurde auf dem Friedhof der Kirche von Sauðárkrókur beerdigt. Später wurde auch seine Tochter Agnes hier im Grab ihres Vaters beigesetzt.
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Sauðárkrókskirkja |
Ósmanns Tochter Agnes (1893 - 1923) war mit Björn Pálmason, einem Bauern aus Glaumbær im Skagafjörður, verheiratet. Ihre Tochter Pálina Ingibjörg Björnsdóttir (1918 - 1990) hatte mit ihrem Ehemann Ingólfur Matthíasson (1916 - 1999) zusammen vier Kinder, auch ihr Sohn Jón Björnsson (1916 - 1975) hatte zwei Kinder. Von beiden Enkeln von Ósmann, Pálina und Jón, leben heute noch zahlreiche Nachfahren.
Die Brücke über den Fluss
Die erste Brücke über die Flussmündung, über die Mündung der westlichen Bezirkswasser, deren Bau Jón Ósmann so oft und nachdrücklich gefordert hatte, wurde 1926 errichtet, 12 Jahre nach Jóns Tod. Auf der Schautafel am Parkplatz gibt es ein Foto von der feierlichen Einweihung der Brücke, mit festlicher Blasmusik und 200 bis 300 Menschen, so heißt es - beachtlich viele für so einen kleinen Ort im Norden Islands.
Seit 1858 legten hier Handelsschiffe an, das erste Haus hier wurde aber erst 1871 errichtet. Im Laufe der Zeit kamen dann immer mehr Häuser hinzu, Kaufleute, Handwerker und Fischer ließen sich in Krókur nieder, später kamen auch Regierungsbeamte. Die Kirche wurde wurde 1892 gebaut, 1906 folgte ein Krankenhaus und 1908 die Schule. Im Jahr 1910 lebten knapp 500 Menschen hier; heute sind es gut 2.600 Einwohner.
Heute wurde die alte Brücke von der isländischen Straßenverwaltung rekonstruiert, sie ist aber nur noch für Fußgänger oder Radfahrer benutzbar, soweit ich es mitbekommen habe.
Die neue Brücke, etwas weiter ins Land hinein, wurde 1995 eingeweiht, um dem zunehmenden Verkehr hier gerecht zu werden. Die neue Brücke ist ca. 100 Meter lang. Die Fundamente der Pfeiler wurden über 20 Meter tief hier in den Sand der Flussmündung getrieben.
Und hier oben, mit Blick auf die neue Brücke im Süden und die alte Brücke im Norden, steht heute eine große Bronzestatue von Jón Ósmann. Ob Ósmann sich wohl freut, dass heute die Gewässer sicher überbrückt sind und die Menschen, die hier von Ostern nach Sauðárkrókur reisen, nun sicher über das Wasser kommen, wie er es schon seinerzeit so oft gefordert hatte..?
Eine Statue zum Gedenken an Jón Ósmann
Im Jahr 2007 begannen, auf Initiative von Sveinn Guðmundsson, einem Pferdezüchter aus Sauðárkrókur, die ersten Vorbereitungen für die Errichtung der Statue.
Verwandte und Nachkommen von Ósmann schlossen sich zusammen, es war auch ein Historiker dabei, und dank der Spenden und der freiwilligen Arbeitsleistung von zahlreichen Einzelpersonen, Organisationen und Unternehmen konnte die Idee realisiert werden.
Anfang 2008 schuf die Bildhauerin Ragnhildur Stefánsdóttir (geb. 1958) eine erste Statue des Fährmanns aus Gips. Mitte März wurde die Gipsstatue dann nach England transportiert und dort in Bronze gegossen. Im Sommer 2009 wurde die Bronzestatue von Jón Ósmann dann an ihrem jetzigen Standpunkt am Fabelstrand enthüllt.
Auf der Schautafel am Fabelstrand sieht man auch ein Foto der Bildhauerin bei der Arbeit an ihrem Model.
Ein Denkmal anderer, literarischer Art für den Menschen Jón Ósmann hat der schweizerisch-isländische Autor Joachim B. Schmidt geschaffen:
In seinem im März 2025 erschienenen neuen Roman "Ósmann" erzählt er, nach einer wahren Geschichte, seine Interpretation der Geschehnis um den Fährmann Jón Magnússon, genannt Ósmann - füllt die Fakten, die mehr oder weniger auch auf der Schautafel stehen, mit Leben, letztlich auf der Suche nach Antworten auf die Frage, welche Geister Ósmann vielleicht so geplagt hatten, dass er 1914 seinem Leben in "seinem Fluss" selbst ein Ende setzte.
Im Nachwort zu seinem Roman "Ósmann" bedankt sich Joachim B. Schmidt auch bei zwei Urenkeln von Ósmann für ihre Gespräche und ihr Vertrauen - bei Ægir Rafn Ingólfsson (geb. 1948), einem Sohn von Ósmanns Enkelin Pálina, und bei Sigurður Ósmann Jónsson (geb. 1951), einem Sohn von Ósmann Enkelsohn Jón.
Ich habe mir "Ósmann" als E-Book gekauft, wie man hier sieht - eigentlich mag ich lieber "richtige Bücher", die ich anfassen kann, in denen ich blättern kann, die nach Papier riechen, in denen die Geschichte ganz klassisch zwischen den Buchdeckeln schlummert... Aber wenn ich von Island aus deutsche Bücher lesen will, sind E-Books einfach unschlagbar praktisch! Und gepackt hat mich die Geschichte von Ósmann so oder so...
Mein Mann Markus hat Joachim B. Schmidt übrigens im Oktober 2023 persönlich erlebt, bei einer Lesung im Zusammenhang mit der Frankfurter Buchmesse. (Seitdem haben wir beide mehrere Bücher von ihm verschlungen!)
Schmidt taucht seine Leser tief ein in das Island, in dem der Fährmann Ósmann lebte, in eine Zeit, wo man das Alter von Menschen und Tieren in den Wintern zählte, die sie überlebt hatten, in der tödliche Unfälle zum Alltag gehörten, ebenso wie Hunger, Kälte und Entbehrung.
Und in eine Zeit, in der viele Eltern ihre Kinder begraben mussten - wie Jón Ósmann selbst, oder wie schließlich der 85-jährige Magnús Árnason und die 83-jährige Sigurbjörg Guðmundsdóttir, die im April 1914 ihren Sohn begraben mussten, obwohl seine alte Mutter doch eigentlich gar nicht mehr ihr Bett verlassen wollte.
Oder wie die alte Guðríður, die Bäuerin gewesen war auf Helluland. "Acht Kinder waren es", murmelte sie. "Und nun habe ich sie alle verloren. Acht Kinder waren es. Und nun -"
Tatsächlich war Guðríðurs Klage um ihre toten Kinder der Satz, der mir am meisten aus dem Roman "Ósmann" nachgegangen ist...
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