Sonntag, 24. November 2024

Zu Besuch beim 50. Island-Kolloquium in Köln 2024

Letztes Wochenende waren wir in Köln, zu Besuch beim 50. Island-Kolloquium der deutsch-isländischen Gesellschaft. 

Die deutsch-isländische Gesellschaft e.V., Köln (DIG), wurde 1955 gegründet als Verein für Deutsche, die sich für Island interessieren, und für in Deutschland lebende Isländer. Der Verein will die Völkerfreundschaft und das gegenseitige Kennenlernen fördern. 

Seit 1971 veranstaltet der Verein das Kölner Island-Kolloquium. Dabei tragen jeweils vier Referenten vor zu "allen denkbaren Themen, die mit Island oder den deutsch-isländischen Beziehungen" zu tun haben. Wir waren schon mehrfach beim Island-Kolloquium (20192021 und 2023). Dieses Jahr 2024 fand das 50. Island-Kolloquium statt. Das Island-Kolloquium findet in einem Veranstaltungshaus aus den 50er Jahren statt, gegenüber der alten Kölner Kirche St. Aposteln


Das große Auditorium bietet Platz für rund 90 bis 130 Zuhörer. 


Programm des Island-Kolloquiums 2024

Zunächst begrüßte der Präsident der Deutsch-Isländischen Gesellschaft (DIG), Herr Prof. Dr. Gert Kreutzer, die Anwesenden. Professor Kreutzer (geb. 1940) ist ein renommierter Skandinavist und Übersetzer literarischer Texte aus dem Isländischen ins Deutsche, für seine Verdienste erhielt er 1996 das Ritterkreuz des isländischen Falkenordens. Seit 2003 ist der Präsident der DIG in Köln. 

Die Leitung und Moderation des Kolloquiums hat Dr. Sverir Schopka (geb. 1938 in Reykjavík, studierter Chemiker und Vorsitzender der DIG seit 2002).

Grußwort des isländischen Botschafters

Seit September 2024 ist Auðunn Atlason der neue Botschafter Islands in Berlin. Der studierte Politologe (geb. 1971) ist der Sohn des isländischen Komponisten Atli Heimir Sveinsson (1938 - 2019) und selbst ein erfahrener Diplomat. Auðunn war schon Botschafter Islands in Österreich und Finnland und seit 2022 außenpolitischer Berater der früheren isländischen Premierministerin Katrín Jakobsdóttir. 

Der Botschafter stellte nach seinem Grußwort noch kurz das Personal der isländischen Regierung bei den Nordischen Botschaften, skizzierte ihre Aufgaben und ihren Tätigkeitsbereich.

Dabei zeigte er u.a. Bilder von der 25-Jahr-Feier der Nordischen Botschaft in Berlin im Oktober 2024 und vom bilateralen Treffen der isländischen Präsidentin Halla Tómasdóttir mit des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Ein interessanter kurzer Einblick!

Bilder vom Staatsbesuch in Berlin


Frauen in Führungspositionen in Island

Den ersten Vortrag hielt Dr. Svana Helen Björnsdóttir. Sie ist Ingenieurin, hat an der Universität Reykjavík und der TU Darmstadt studiert und verfügt über langjährige Erfahrung als CEO (Geschäftsführer) in Island und im Ausland, aktuell ist sie u.a. Präsidentin des isländischen Ingenieurverbands

Wie sie selbst sagte - bisher hatte sie sich nicht mit der spezifischen beruflichen Situation von Frauen in Island beschäftigt. Sie war es gewohnt, vom Studium bis zum Berufsalltag, eine Frau in einer Männerwelt zu sein, und war mit ihrer Arbeit immer vollauf beschäftigt. Für den Vortrag in Köln hat sie erstmals die "Geschlechterbrille" aufgesetzt und ist mit der Erwartung an das Thema herangegangen, dass die Situation von Frauen in Führungspositionen in Island eigentlich sehr gut sein müsse.

Island gilt weltweit als Musterbeispiel für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, führt seit 2009 jährlich den Global Gender Gap Index an, mit besten Chancen in Sachen Gleichberechtigung. Außerdem gibt es Gesetze, die grundsätzlich gleichen Lohn für gleiche Arbeit garantieren. Das Gesetz zur Geschlechterquote in Vorständen öffentlicher Unternehmen und Institutionen mit mehr als 50 Mitarbeitern trat 2013 in Kraft, hierin wird festgeschrieben, dass mindestens 40% aller Führungsüositionen mit Frauen besetzt werden müssen. 

Als Svana dann die statistischen Daten vorliegen hatte, stellte sie überrascht fest, dass Erwartung und Realität auch auf Island weit auseinander liegen. 

Zwar sind schon länger rund 70% der Absolventen isländischer Universitäten Frauen und der Frauenanteil erhöht sich weiterhin. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen liegt aber seit Jahren nur bei maximal 30% liegt (mit gewissen Schwankungen). Also machen 30% der Studierten (= Männer) 70% aller Führungspositionen unter sich aus. 

Auch die Gesetzgebung der letzten Jahre hat sich in den Statistiken nicht erkennbar niedergeschlagen, vom 40% Frauenanteil in Führungspositionen ist Island immer noch weit entfernt und es zeichnet sich auch nicht ab, dass sich dies in der nächsten Zukunft ändern wird.  

Woran liegt das?

Mögliche Gründe liegen für Svana darin, dass auch auf Island Hausarbeit und Kinder immer noch vorwiegend Frauensache sind. Sie sei sicherlich nicht die einzige Frau auf Island, die ein Unternehmen leitete und ihre Mittagspause damit verbrachte, nach Hause zu fahren und die Waschmaschine umzufüllen. Diese Doppelbelastung führt zunehmend zu Stress, immer mehr Frauen scheiden aus Führungspositionen auch wieder aus, um auf sich selbst und ihre Gesundheit zu achten. Sie erzählte von einer Selbsthilfeeinrichtung für Menschen mit Burnout, bei der zu 90% Frauen auf dem Weg zum Wiedereinstieg ins Arbeitsleben begleitet werden. 

Auf Island gibt keinen Anspruch auf Teilzeit. Kinderbetreuung bedeutet in der Regel auch Ganztagsbetreuung. "Wir sind ein kleines Land, wir können es uns nicht leisten, dass Frauen auf Island nicht arbeiten", sagt Svana. Ein Satz, den ich fast wörtlich genau so schon mehrfach gehört und gelesen habe, auch im Buch der ehemaligen Frist Lady Eliza Reid über starke Frauen auf Island. 

Svana (geb. 1960 in Reykjavík) hat selbst drei Kinder und hat Karriere gemacht, das ging aber nur, weil sie eine taffe Frau mit viel Mut war, die wusste, was sie wollte, und Unterstützung von ihrem Umfeld hatte - sie sagt, ihr sei bewusst, dass sie auf den Schultern der Frauen vor ihr stünde, der isländischen Frauen, die es gewohnt seien, stark zu sein und Verantwortung für sich und ihre Familien zu übernehmen. Zumal hätten sie es sich leisten können, für Kinderbetreuung und Haushalt jemanden einzustellen, aber dazu muss man auch die finanziellen Mittel haben, und die haben viele Familien nicht. 

Es wird wohl noch öfter auch auf Island einen Frauenstreik geben müssen. 


Die Westfjorde und Hornstrandir - Geologie und Reiseerlebnisse

Die Geologin Dr. Renate Schumacher (geb. 1957) war an der Universität Bonn tätig und von 1997 bis zu ihrem Ruhestand 2022 Leiterin des dortigen Mineralogischen Museums. 

In den letzten Jahren hat sie mehrfach die Westfjorde besucht. insbesondere das Naturschutzgebiet Hornstrandir, und hat aus geologischer Sicht Island im Allgemeinen und die Westfjorde im Besonderen vorgestellt. 

Geologisch betrachtet gehören die Westfjorde, wie auch die Ostfjorde, zu den ältesten Teilen Islands. Hrafnsfjörður, der Rabenfjord, in den Westfjorden hält den bisherigen Altersrekord mit einem Alter von rund 14 Millionen Jahren. 

Ich habe zwar keine Ahnung von Geologie, aber die Begeisterung der Referentin für ihr Thema und ihre Fröhlichkeit waren wirklich ansteckend.

Anschließend wurden im Foyer noch Fotografien von Frau Dr. Schumacher zum Thema "Island im Kreislauf des Wassers" gezeigt.


Bewahrung des größten Schatzes Islands - der isländischen Sprache

Nach der Mittagspause hielt Gauti Kristmannsson einen Vortrag über die isländische Sprache - sehr passend am 16. November, dem Tag der isländischen Sprache

Gauti Kristmannsson (geb. 1960) hat zunächst in Island Anglistik studiert, dann schottische Literatur in Edinburgh und hat schließlich 2001 an der Universität in Mainz über "Literarische Diplomatie" promoviert mit den Fächern Anglistik, Interkulturelle Germanistik und Kultursoziologie. Er arbeitet als Übersetzer, war als freiberuflicher Dolmetscher tätig, u.a. als Gerichts- und Simultandolmetscher, aber auch bei der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament. Seit 2011 ist er Professor für Translationswissenschaft an der Háskóli Íslands (HÌ). 

Die Isländer sind sehr stolz auf ihre Sprache und erzählen gerne, dass sie die alten Texte des Sagas und Eddas aus dem mittelalter noch in der Ur-Fassung lesen können. So ganz stimmt das zwar nicht, aber die isländische Sprache ist heute tatsächlich noch sehr nah an dem Isländisch, das im Mittelalter gesprochen wurde. Doch wie kam es dazu, dass die Isländer ihre Sprache so gut bewahrt haben? Und wie sieht die Zukunft dieser Sprache aus? Diesen Fragen versuchte Gauti Kristmannsson bei seinem Vortrag aus sprachwissenschaftlicher Sicht nachzugehen. 

Höhepunkt der Vortrags war für mich definitiv das Gedicht "Ég bið að heilsa" (= "Ich lasse grüßen") des isländischen Dichters Jónas Hallgrímsson (1807 - 1845), das vom Komponisten Ingi T. Lárusson (1892 - 1946) vertont wurde und auf Island faktisch ein Volkslied ist, das früher jedes Kind in der Schule gelernt hat. Zwar wollte Gauti Kristmannsson das Gedicht nicht alleine vorsingen, aber die anwesenden Isländer haben übernommen, und einer nach dem anderen fiel machtvoll in den Gesang ein. Ein ganz besonderer Gänsehaut-Moment!


Island: Zuflucht und Erfüllung

Im letzten Vortrag des Tages zeigte der isländische Journalist, Schriftsteller und Übersetzer Arthúr Björgvin Bollason seinen Dokumentarfilm "Island: Zuflucht und Erfüllung" über den Hamburger Bildhauer und Künstler Wilhelm Beckmann von 2023. 

Arthúr Bollason (geb. 1950) ist einer der wichtigsten Vermittler isländischer Kultur in Deutschland. Wir haben ihn zuerst bei Veranstaltungen im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2011 erlebt, als Island Ehrengast der Buchmesse war, später aber noch öfter bei Lesungen. Ich liebe es, wenn Arthúr Bollason ins Erzählen kommt, immer sehr anschaulich, persönlich und unterhaltsam, und immer fällt ihm noch eine schöne, sehr menschliche und anschauliche Anekdote ein. Ich liebe auch seine Saga-Aufnahmen, seine Erzählungen der alten isländischen Sagas. 

Foto mit Arthúr Bollason 
bei einer Lesung in Frankfurt im Februar 2023

Von Wilhelm Beckmann (1909 - 1965) hatte ich tatsächlich noch nie gehört, und wie sich herausstellte, geht das den allermeisten Menschen so. Arthúr und seinem Mit-Autoren Michael Locher ging das nicht anders. Anstoß zum Film war eine E-Mail der Stofnun Wilhelms Beckmann (der Wilhelm-Beckmann-Stiftung) aus Kópavogur an Arthúr, ob er vielleicht einen Journalisten wüsste, der über Wilhelm Beckmann schreiben könnte..?

Wer war Wilhelm Beckmann?

Beckmann wurde 1909 als Arbeiterkind in Hamburg geboren und wuchs hier in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater war Hafenarbeiter und aktiver Gewerkschafter, auch sein Bruder Georg und später Wilhelm Beckmann selbst waren in der SPD aktiv. Nach der Volksschule absolvierte Beckmann eine Lehrer als Holzbildhauer. In der Weltwirtschaftskrise fand er dank eines Notprogramms für arbeitslose Jugendliche ein sehr bescheidenes Auskommen, indem er den Jugendlichen beibrachte, Holzspielzeuge zu schnitzen. 

Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 wurden sein Bruder und sein Vater wegen ihrer politischen Tätigkeit verhaftet, Wilhelm Beckmann verlor seine Arbeit und floh 1934 nach Dänemark, zur Familie seiner Mutter, und studierte hier ein Jahr an der königlichen Kunstakademie. Er bekam danach aber keine Arbeitserlaubnis. Er erhielt dann ein Visum für Island. Im Mai 1935 kam er praktisch mittellos mit dem Schiff in Reykjavík an. Seine erste Nacht auf Island verbrachte er unter freiem Himmel auf dem Arnarhóll. Dank der Hilfe von isländischen Sozialdemokraten gelang es Wilhelm Beckmann, in einer Möbelfabrik eine Anstellung zu finden, zusätzlich fertigte er Plakate für die Sozialdemokratische Partei und machte sich schließlich als Holzbildhauer einen Namen auf Island. Im Jahr 1940 heiratete er die Isländerin Valdís Einarsdóttir, deren Familie einen Hof auf Snæfellsnes besaß. Das Paar bekam zwei Kinder, die Tochter Hrefna (1940 - 2013), die mit ihrem Mann in Island lebte, und den Sohn Einar (geb. 1944), der seit Jahrzehnten in Australien lebt und dort verheiratet ist. Die Gegend um den Hof auf Snfellsnes wurde zum Herzensort von Wilhelm Beckmann. 

Anders als andere Deutsche durfte Beckmann während des Kriegs in Island bleiben. Heute vermutet man, dass er für die Besatzungsmacht deutschen Schiffsfunk abhörte. Nach dem Krieg wurde Beckmann 1947 isländischer Staatsbürger.

Quelle: www.beckmann.is

Beckmann hat eine Vielzahl von Kunstwerken hinterlassen. In Museen sucht man seine Werke allerdings vergeblich. Dafür findet man seine sakrale Kunst, seine Taufbecken, Altartafeln und Kandelaber immer noch in Kirchen im ganzen Land. Und er hat Gebrauchskunst hinterlassen, kunstvoll geschnitzte Alltagsgegenstände: Bücherregale, Lesepulte, Truhen, Stühle und Lampen. Außerdem hat er zahlreiche Frauen-Skulpturen hinterlassen. 

Der Künstler galt als exzentrisch. Es heißt, er habe aber auch sehr unangenehm werden können, wenn er etwas getrunken hatte. 

Wilhelm Beckmann starb 1965 im Alter von nur 56 Jahren nach langer Krankheit und liegt auf dem Friedhof in Reykjavík begraben.


Der Büchermarkt 

Neben dem Treppenaufgang im ersten Stock, vor dem Eingang zum Sitzungssaal, stand auch dieses Mal wieder der Büchertisch der Buchhandlung C. Roemke & Cie., Köln. Hier gibt es viele, ganz unterschiedliche Bücher rund um das Thema Island, deutsche Bücher über Island, Sachbücher, Romane, Bildbände, Kalender, aber auch isländische Bücher. 

Unser Weihnachtsbuch "Leckeres Island zur Weihnachtszeit" stand übrigens auch auf dem Büchertisch. 



Der Besuch in Köln hat sich für uns auch dieses Jahr wieder sehr gelohnt. Wieder viele Menschen getroffen, viele neue Eindrücke gewonnen und neue Impulse bekommen. Und wenn wir das nächste Mal nach Kópavogur kommen, möchte ich mir vor dem Gemeindehaus (Safnaðarheimilið Borgir Kópavogur) definitiv Beckmanns Statue "Kóna á bæn" (= "Frau im Gebet") anschauen. 


P.S.: 

Das Island-Kolloquium ist eine öffentliche Veranstaltung. Jeder kann teilnehmen. Es wird um Anmeldung per Mail gebeten, man kann grundsätzlich aber auch ohne Anmeldung teilnehmen, zumindest war es in den letzten Jahren nie so voll, dass es Schwierigkeiten gegeben hätte, wenn man spontan kam. Der Eintritt kostete für Nicht-Mitglieder wie uns 7,50 € pro Person, für Mitglieder 5 €.




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