Die letzten Höhlenmenschen Islands
Heute nehme ich Euch mit auf einen ganz besonderen Ausflug entlang des Golden Circle - auf eine Zeitreise in die Vergangenheit, zu den letzten Höhlenmenschen Islands.
Wenn man von Þingvellir über die Straße 365 nach Laugarvatn fährt, biegt irgendwann eine kleine, beschilderte Straße nach Norden ab, über diese Straße erreicht man die Laugarvatnshellar, also die Höhlen am Laugarvatn.
Es sind zwei Höhlen, die sich hier im Tuffgestein des Berges Reyðarbarmur befinden. Die Höhlen sind von Menschenhand angelegt worden. Es heißt, ursprünglich hätten die "Papar", die irischen Mönche, die hier vor der Landnahme der Vikinger gelebt haben sollen, diese Höhlen gegraben.
Nach der Landnahme Islands wurden die Höhlen wohl überwiegend von Hirten genutzt, als Zufluchtsort für Hirten und Schafe. Nachdem von Geistern bei den Höhlen erzählt wurde, sollen sie wohl nicht mehr genutzt worden sein.
Erst Ende Juni 1910 ließ sich ein junges Paar, Indriði Guðmundsson (1885 - 1971) und Guðrún Kolbeinsdóttir (1892 - 1975), direkt nach ihrer Hochzeit hier in den alten Höhlen nieder und richtete sich hier häuslich ein. Die größere Höhle baute Indriði, der auch Schreiner gelernt hatte, zur "Wohnhöhle" aus, als Wohn- und Schlafraum mit Küche, die kleinere Höhle wurde zum Schafstall umfunktioniert.
Indriði und Guðrún |
Das Paar lebte u.a. davon, dass sie an der Straße von Laugavatn nach þingvellir für die Reisenden und die Touristen, die es auch damals schon gab, ein Zelt aufbauten und die Leute dort gegen Entgelt mit Kaffee, Skyr und selbstgebackenem Kuchen bewirteten. Indriði und Guðrún lebten allerdings nur 11 Monate hier, dann konnten sie trotz ihrer finanziellen Schwierigkeiten in der Nähe von Reykjavík in Austurey einen Hof erwerben und zogen dorthin. Ihre Tochter Ólöf Svava Indriðadóttir, die später bei diversen Veranstaltung zur Erinnerung an die Höhlenbewohner anwesend war, wurde erst 1927 geboren.
Die Informationstafel, die heute an der Zufahrt zu den Höhlen steht, wurde 2008 feierlich von Ólöf Svava Indriðadóttir und Magnús Jónsson, dessen Eltern ebenfalls hier in den Höhlen gelebt hatten, enthüllt.
Im Jahr 1918 zogen Magnús' Eltern, Jón Þorvarðsson und Vigdís Helgadóttir, in die Wohnhöhle, die wohl einem Cousin von Jón gehörte.
Jón und Vigdís |
Auch dieses Ehepaar betrieb hier Landwirtschaft, hielt etliche Schafe, ein paar Pferde und eine Kuh und bewirtete in einem "Restaurationszelt" Reisende an der Straße Lyngdalsheiðarvegur. Ihr berühmtester Gast war König Christian X. von Dänemark, der Island 1921 besuchte und 30 Kronen für seinen Skyr mit Schlagsahne zahlte.
Vigdís hatte auch einen Garten neben den Höhlen angelegt und baute hier wohl sehr erfolgreich Kartoffeln an - die Lage war wohl günstig, weil ihr Acker vom Berg einigermaßen vor dem Wind geschützt wurde und auf dem Südhang vergleichsweise sonnig gelegen war.
Jón fing außerdem Schneeühner, die er in Reykjavík verkaufte. Zudem sammelten sie in der Umgebung Beeren, die sie ebenfalls verkauften.
Diese kleinere Höhle wurde als Schafstall verwendet |
Auch dieses Paar lebte hier, weil es hier kein Land und keinen Hof zu kaufen gab. Als sie Ende 1922 einen Hof kaufen konnten, zogen auch die letzten Höhlenmenschen Islands hier weg.
Heute kaum vorstellbar, wenn man sich in der dunklen, feuchten Höhle so umschaut, dass hier vor rund 100 Jahren eine 5-köpfige Familie lebte und wirtschaftete.
Sehr hell war es in der Höhle schon tagsüber bei gutem Wetter nicht - erst recht nicht im Winter bzw. nachts im Winter, wenn man nur mit Öllampen oder Talgkerzen ein klein bisschen Licht verbreiten konnte.
Im Kuhstall, der sich - mit einer Holzwand abgetrennt, im hinteren Bereich der Wohnhöhle befand, ist es übrigens schon an sommerlichen Sonnentagen praktisch stockfinster. Die Kuh der Familie, die hier den Winter über gehalten wurde, soll im ersten Winter in der Höhle blind geworden sein.
Der Tisch ist schon liebevoll für die Moos-Suppe gedeckt |
Ragnheiður, die älteste Tochter von Jón und Vígdís wurde im April 1919 hier in der Höhle geboren und Jón musste durch den Tiefschnee nach Laugarvatn, um die Hebamme zu holen, nachdem es Probleme mit der Plazenta gab. Für die ca. 13 km lange Strecke brauchte er rund 8 Stunden, aber es ging gut aus und auch Mutter und Kind überlebten. Magnús, der Sohn, wurde 1920 nicht in der Höhle geboren, aber 1922 dann seine jüngere Schwester Hrafnhildur Ásta.
Hier wurden Ragnheiður und Hrafnhildur Ásta geboren |
Magnús Jónsson starb erst 2013 und galt bis zu seinem Tod als "síðasti núlifandi hellisbúinn á Íslandi", "der letzte lebende Höhlenbewohner Islands".
Seit 2017 kann die rekonstruierte Höhle wieder besichtigt werden
Nach dem Auszug der Familie 1922 stand die Höhle leer, im Grunde war nicht mehr zu erkennen, dass hier wirklich Menschen gelebt hatten, und das auch noch vor gar nicht so langer Zeit.
Erst dieses Jahr konnte der Plan realisiert werden, die Höhlen wieder herzurichten, um den Besuchern - sowohl den Isländern auch als den Touristen - zu zeigen, wie die Menschen hier vor gerade mal 100 Jahren lebten. Die Planung der Arbeiten erfolgte in Zusammenarbeit mit der zuständigen Denkmalschutzbehörde, dem Minjastofnun Íslands. Unter der Leitung von Smári Stefánsson, einem der Eigentümer von "Laugarvatn Adventure" (einem Unternehmen, dass sich auf Höhlen-Touren in der Region spezialisiert hat), wurde für die "Cave People" im Rahmen eines StartUps innerhalb von weniger als 2 Monaten dann die ehemalige Wohnhöhle in mühevoller Arbeit rekonstruiert.
Es konnte nicht alles 1:1 wieder hergestellt werden, so sind z.B. auch die Wände jeweils ein Stückchen versetzt, insgesamt gibt es aber einen sehr guten Eindruck der Lebensbedingungen der isländischen "Höhlenmenschen".
Seit dem 01. Juni 2017 können die Höhlen der "Cave People" besichtigt werden. Die Besichtigung erfolgt ausschließlich im Rahmen einer Führung.
Der Eintritt kostet für einen Erwachsenen 1.900 IK (rund 15 €), für Kinder 950 ISK (rund 7,70 €). Die Familienkarte für 2 Erwachsene und maximal 3 Kinder kostet 4.900 ISK (knapp 40 € - Stand Okt. 2017).
Auch heute gibt es hier wieder ein "Restaurationszelt", in dem Kaffee und Gebäck und ein paar typisch isländische Spezialitäten angeboten werden. Wir haben allerdings hier nicht gegessen, den Kindern reichte es, zumal es wirklich ordentlich windig war und die beiden "Cave People" damit zu kämpfen hatten, alles wieder festzubinden.
Auch der isländische Präsident Guðni Th. Jóhannesson hat die "Cave People" bereits mit seiner Frau besucht - sein begeistertes Schreiben ist im "Restaurationszelt" zu besichtigen.
Unser Besuch im Oktober 2017
Wir hatten Glück, dass wir die Höhlen bei unserer Reise Mitte Oktober überhaupt noch besuchen konnten - die Saison hier endete eigentlich zum 01. Oktober. Ab da ist nicht mehr täglich geöffnet, kann aber teilweise nach vorheriger Absprache noch besichtigt werden.
Anlässlich des European Heritage Day hatten die "Cave People" aber am Samstag, den 14. Oktober, noch einmal von 12 bis 16 Uhr geöffnet und es wurden kostenlose Führungen durch die Höhe angeboten - wirklich sehr nett gemacht, sehr liebevoll mit viel Blick fürs Detail und sehr interessant. Es war wirklich ein großartiges Erlebnis für uns alle!
Unser Höhlenführer in historischer Kleidung |
Die Höhle ist heute übrigens mit Einrichtungsstücken ausgestattet, die auch aus der Zeit Anfang der 20. Jahrhunderts stammen, um dem Besucher einen authentischen Eindruck zu vermitteln. Allerdings sind nur zwei Einrichtungsgegenstände wirklich original von den damaligen Höhlenbewohnern - darunter das alte Waffeleisen von Vigdís, das heute neben dem Butterfass und den Schaufeln in der "Koch-Ecke" an der Wand steht.
Making of - Food Blogger bei der Arbeit |
Sehr interessant, mal was abseits des Kulinarischen! ;o)
AntwortenLöschenNa ja, ganz abseits war es ja nicht - es ging auch um Kartoffelanbau in Island, Waffelbacken, Lammfleisch... ;-)
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