Mittwoch, 16. August 2023

Tolkiens isländische Kindermädchen

Wie viel Island steckt möglicherweise in Tolkiens Büchern?

Es gibt tatsächlich immer wieder Momente hier auf Island, da fühle ich mich direkt nach "Mittelerde" versetzt. Beispielsweise als wir 2021 im April beim Vulkanausbruch am Fagradalsfjall waren - da kam ich mir vor, wie Sam und Frodo persönlich (na gut, wahrscheinlich bin ich da mehr von den Filmen als von den Bücher beeinflusst, aber es fühlte sich wirklich so an, als wir das erste Mal über eine Bergkuppe kamen und vor uns wie Perlen an einer Kette die spuckenden kegelförmigen Vulkankrater lagen). 


Und als wir letztens nach Gjáin gefahren sind, von oben einen Blick in das beschauliche kleine grüne Tal hatten, da kam ich mir vor, als wäre ich mitten im Auenland gelandet, sogar die runden Hobbit-Höhlen waren da. 


In solchen Momenten frage ich mich dann schon: 

Wie viel Island steckt möglicherweise in Tolkiens Büchern..? 

Die Bücher von J.R.R. Tolkien (1892 - 1973) über den "kleinen Hobbit" und den "Herrn der Ringe" sind weltberühmt, oder "Hobbitinn" und die "Hringadróttinssaga", wie die Bücher auf Isländisch heißen. 

Tolkien hat die isländischen Sagas im Original gelesen

Es ist überliefert, dass der Sprachwissenschaftler Tolkien sich für die (alt-)isländische Sprache und Überlieferungen begeisterte. In seiner Zeit als Professor für Angelsächsisch in Oxford gründete er sogar 1926 im Kollegenkreis eine Gruppe, die sich regelmäßig traf, um isländische Sagas in der Originalsprache zu lesen. (Außer Tolkien gehörte dieser Gruppe z.B. auch C.S. Lewis an, der spätere Autor der "Chroniken von Narnia".)

Die nordische Mythologie hat eindeutig Spuren in Tolkiens Werken hinterlassen:

So hat Tolkien z.B. für seine Zwergen-Namen Anleihen aus dem Dvergatal genommen, aus der "Zwergenzählung" in der isländischen Lieder-Edda aus dem 13. Jahrhundert, hier werden rund 70 Zwerge namentlich aufgezählt. Und auch hier kommt z.B. ein Nori vor, ein Fili, ein Kili, ein Dori, ein Gloin, ein Oinn oder ein Dvalin, ebenso der tapfere Thorin, der leicht erregbare Bömburr, der ängstliche Biförr oder der streitsüchtige Ori. Tatsächlich stammen alle Namen der 13 Zwerge, die den kleinen Hobbit Bilbo Beutlin auf seiner Reise begleiten, aus dem Dvergatal, der "Zwergen-Zählung". 

Im Dvergatal kommt übrigens auch der "Zauberelf" vor, also "Gandalf". 

Nur der Zwerg Gimli im "Herrn der Ringe" hat seinen Namen nicht von einem der Zwerge aus dem Dvergatal: Gimli ist in der nordischen Mythologie gewissermaßen das Paradies, der schönste Ort in Asgard, dem Wohnort der Götter.

Tolkiens isländische Kindermädchen

Es ist außerdem überliefert, dass Tolkien für seine vier Kinder mindestens zwei isländische Kindermädchen hatte, die den Kindern abends zum Einschlafen oft isländische Volksmärchen und Überlieferungen erzählten und Vater Tolkien soll es geliebt haben, heimlich zu lauschen und den Geschichten zuzuhören. 

Ob wohl über diese Geschichten und Landschaftsbeschreibungen Islands so noch mehr Island-Inspiration Eingang in die Welt des kleinen Hobbits und die Bücher über Mittelerde fanden..? Die Experten streiten sich, aber eigentlich fände ich es naheliegend, zumal für Tolkien die Natur auf ganz besondere Weise lebendig war...  


Áslaug Ásgeirsdóttir (1910 - 2002)

Das erste isländische Kindermädchen, dass 1927 für etwa 1,5 Jahre zur Familie Tolkien nach England kam, war Áslaug Ásgeirsdóttir. 

Áslaug wurde am 24.06.1910 in Reykjavík geboren, als eines von drei Kindern. Ihr Vater war Chemiker, ihre Mutter selbständige Hutmacherin. Áslaug wuchs in Reykjavík auf, verbrachte die Sommer aber bei der Familie ihres Vaters im Ólafsdalur, im Süden der Westfjorde, und später bei einer Tante im Borgarfjörður. Áslaug machte mit 17 Jahren 1927 ihren Schulabschluss an der Kvennaskólinn in Reykjavík, dem ersten Mädchen-Gymnasium Islands. Anschließend ging sie nach England und arbeite etwa ein Jahr lang in Oxford bei der Familie Tolkien und kümmerte sich um die vier Kinder John (geb.1917), Michael (geb. 1920), Christopher (geb. 1924) und Priscilla (geb. 1929).

Nach ihrer Zeit in England ging Áslaug nach Kopenhagen, wo sie Porzellanmalerei lernte, anschließend arbeitete sie u.a. im Betrieb ihrer Mutter Anna in Reykjavík. Im Spätsommer 1931 heirate Áslaug den Maschinisten Höskuldur Ágústsson (1905 - 1996). Zunächst lebte das Paar in Reykjavík, 1937 zogen sie wegen Höskuldurs Beruf nach Ljósafoss (Grímsnes)...

Ljósafossvirkjun (Okt. 2022)

... und 1943 dann nach Mosfellsbær, wo sie bis zum Schluss wohnten. Áslaug unterrichtete eine Zeitlang an einer Schule in Mosfellsbær und engagierte sich in verschiedenen Organisationen vor Ort. Das Paar hatte 5 Kinder. 

Áslaug starb am 18.03.2002 im Alter von 91 Jahren in Reykjavík. Sie hinterließ noch vier Kinder sowie Enkel und Urenkel.

In ihrer Todesanzeige in der Zeitung Morgunblaðið wurde erwähnt, dass sie 1927 für gut ein Jahr nach Oxford in England ging zu Professor J.R.R. Tolkien (Schriftsteller) und dessen Frau Edith. Viel mehr als diesen Nachruf in der Zeitung habe ich aber leider bisher nicht über Áslaug gefunden, Tolkiens erstes isländisches Kindermädchen. 


Arndís Þorbarnardóttir (1910 - 2004)

Das zweite isländische Kindermädchen, dass 1929 zu den Tolkiens kam, war Arndís Þorbjarnardóttir (genannt Adda). Sie wurde am 26.03.1910 in Bildudalur in den Westfjorden als Tochter des dortigen Bezirksarztes geboren und wuchs mit ihren sechs Geschwistern dort auf. Mit 17 Jahren machte Arndís 1927 ihren Schulabschluss an der Kvennaskólinn in Reykjavík. Áslaug und Arndís kannten sich offenbar, wenn sie im selben Jahrgang an derselben Schule ihr Abitur gemacht hatten. 

Von 1929 bis 1930 arbeitete dann Arndís in Oxford als Kindermädchen im Haushalt der Tolkiens. 
 
Nach ihrer Rückkehr nach Island hielt Arndís (ebenso wie Áslaug) noch durch Briefe Kontakt zur Familie Tolkien, bis der Zweite Weltkrieg den Briefwechsel beendete. Mindestens ein Brief von Tolkien auf Isländisch ist wohl überliefert. 

Ab 1933 arbeitete Arndís für den isländischen Fischereiverband und war dort für Statistiken und Exportberichte zuständig. Nach ihrer Hochzeit 1949 mit dem Ingenieur Marteinn Björnsson (1913 - 1999) lebte sie zunächst in Reykjavík, später dann in Selfoss, war Hausfrau, zog ihre beiden Kinder auf (geb. 1950 und 1955) und engagierte sich gesellschaftlich in zahlreichen Organisationen und Vereinen.

Arndís starb im Alter von 94 Jahren am 16.04.2004. 

Mein Blick auf Selfoss (Okt. 2021)


Über Arndís findet man ein bisschen mehr im Internet als über Áslaug, so hatte Arndís 1999 einer Reporterin des Morgunblaðið ein Interview gegeben über ihre Zeit in Oxford bei den Tolkiens. Dabei erzählte sie auch, dass sie überzeugt war, der Professor habe ihre isländischen Geschichten belauscht und sich z.B. für seine Hobbits hierdurch inspirieren lassen - diese kleinen Leute mit überdimensional großen, haarigen Füßen - wie Schneehühnern... ja, ich weiß, was sie meinte, auch wenn ich spontan vielleicht nicht ganz überzeugt bin. 

Ich habe leider spontan kein gutes Schneehuhn-Foto, Ihr müsstet also bitte selber suchen im Internet nach Bildern von ihren Füßen - und ja, sie sind wirklich auffallend groß und haarig bzw. gefedert...


Wie viel Island jetzt tatsächlich in Tolkiens Geschichten steckt, müssen andere beurteilen, aber ich finde das Thema an sich durchaus spannend! 



1 Kommentar:

  1. Das ist wirklich ein spannendes Thema (auch wenn Hobbits eigentlich KEINE großen Füße haben, siehe hier unter Punkt 9: https://www.tolkiengesellschaft.de/32023/die-10-groessten-irrtuemer-ueber-den-herrn-der-ringe-und-tolkiens-andere-werke/). :)

    Vielen herzlichen Dank für diesen interessanten Artikel! Ich wusste zwar, dass Tolkien isländische Kindermädchen hatte, die Details dazu fehlten mir allerdings noch. Toll! Hätten Sie vielleicht Lust, dazu einen kurzen Artikel für den Flammifer zu schreiben? Die Redaktion würde sich sicher sehr freuen!
    https://www.tolkiengesellschaft.de/der-verein/vereinspublikationen/flammifer-von-westernis/

    Ich hoffe, mir ist eine kleine Ergänzungen zu den isländischen Namen erlaubt:
    - Laut „Lexikon der germanischen Mythologie“ (Simek) übersetzt man Gandalf am besten als „zaubrkundiger Albe“, da „gand“ ein „Zaubergerät“ ist, das kann ein Stab sein, muss es aber nicht (in den isländischen Märchen gibt es ja durchaus auch magische Ahlen, die sprechen können, auch das wäre ein „gand“).
    - eine Anmerkung zu den Zwergennamen muss ich machen: ALLE Zwergennamen, die Tolkien verwendet hat, stammen aus der Edda, z. B. auch Dwalins Vater Fundin (dessen Grab die Ringgemeinschaft in Moria findet).
    Es gibt nur zwei Ausnahmen: Im Hobbit ist es Balin (aus der Arthus-Sage), im HdR ist es Gimli. Ich habe allerdings ein Problem damit, Gimli mit „Gimle“ („der vom Feuer geschütze Ort“, Ort, in dem nach Snorri die Menschen nach dem Weltuntergang wohnen werden, siehe das oben erwähnte Lexikon) gleichzusetzen – denn „Gimle“ ist ein Ortsname. Tolkien kannte sich wie gesagt sehr gut aus, und mir ist kein Fall bekannt, in dem er einen Ortsnamen als Personennamen verwendet hat oder umgekehrt.
    Meine Interpretation zu den beiden Ausnahmen ist eher, dass beide Zwerge anders sind als ihre Mitzwerge. Balin erkennt als erstes Bilbos Wert und Potential und erweist ihm Respekt (bei den anderen Zwergen dauert es länger). Die beiden scheinen sich auch besonders gut zu verstehen (Buch).
    Gimli schließt gar Freundschaft mit einem Elb und folgt ihm als einziger Zwerg in die unsterblichen Lande. Wenn das nicht etwas Besonderes ist!

    Das Wort „Hobbit“ stammt übrigens aus dem Buch „The Denham Trencts“ (1895) mit Folklore-Erzählungen. Der Band enthält eine unter anderem eine Liste mit etwa 200 übernatürlichen Wesen. Der Begriff „Hobbit“ taucht im zweiten Band auf (siehe „The Annotated Hobbit“, Seite 9).
    Tolkien selbst bot später die Übersetzung „hol-bytla“ („Höhlenbewohner“) an.

    Nochmals vielen Dank für die schönen Artikel zu Island! Mein Besuch auf der wundervollen Insel ist leider schon viel zu lange her (2009) und ob ich es noch mal schaffen werde, ist fraglich, aber so kann ich noch einmal in Erinnerungen schwelgen. Darum habe ich mich auch sehr über die Infos zu Stöng gefreut (da war ich tatsächlich auch).

    In diesem Sinne ein herzliches Namarie und viele Grüße!

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