Heimskautsgerðið á Raufarhöfn
Der Ort Raufarhöfn liegt ganz im Nordosten Islands, auf der Halbinsel Melrakkaslétta, ca. 17 km südlich des Polarkreises. Das Klima hier ist arktisch, die Unterschiede zwischen den Jahreszeiten ist auffallend gering. Die Durchschnittstemperatur im Sommer liegt bei knapp 11°, im Jahresdurchschnitt bei etwa 5°. Im Dezember gibt es hier, so hoch im Norden, gar keinen Sonnenschein. Und auch im Sommer ist Sonnenschein selten, das es hier oft extrem unbeständig, wolkenverhangen und neblig ist. Wir waren im Juli hier - mitten im isländischen Sommer.
Eine neue Attraktion des Ortes ist der "heimskautsgerð", der "Arctic Henge". Ein Henge ist ein spezielles, neolithisches Erdwerk, der Begriff geht auf das englische Stonehenge zurück.
Dieses Monument in Raufarhöfn geht auf den den ortsansässigen Hotelier Erlingur Thoroddsen (1949 bis 2015) und seinen Freund, den Künstler Haukur Halldórsson (geb. 1937 in Reykjavík), zurück. Eigentlich stammte Erlingur aus den Westfjorden, über Umwege kam er mit seiner Familie 1996 nach Raufarhöfn und pachtete hier das Hotel Norðurljós. Das Hotel lief ganz gut, aber Erlingur erlebte, wie immer mehr Menschen von hier wegzogen, ganze Familien fortgingen. Diese Landflucht wollte er stoppen, neuen Perspektiven für die Menschen hier knapp unterhalb des Polarkreises entwickeln, auch Touristen hierher locken.
Schließlich entstand in seinem Kopf ein Kulturdenkmal, das die Magie des Ortes einfangen sollte, die alten Mythen wieder erlebbar machen. Zusammen mit Haukur, der auch in der Religionsgemeinschaft der Ásatru sehr aktiv ist, entwickelte Erlingur die Idee zu einem ganz besonderen steinernen Moments mit einem Durchmesser von 50 Metern, mit vier steinernen Eingangstoren und in der Mitte vier Säulen, die sich oben in einem Schlussstein treffen - mit einem Loch, durch das man jetzt in den Himmel schauen kann.
So wie hier im Prospekt sollte der Steinkreis nach seiner Vollendung einmal aussehen, mit den vier 6 m hohen Portalen, einer Mauer um die Stätte, und im Innern 72 Steinen für die 72 Zwerge der Lieder-Edda, die den Jahreskreis symbolisieren sollen, einem inneren Kreis aus vier Basalt-Monumente und ganz in der Mitte dann das 10 m hohe Tor, das nach Fertigstellung eine Kristallkugel tragen sollte, die das Sonnenlicht in Spektralfarben über das ganze Momente streuen würde.
Prospekt "Heimskautsgerðid á Raufarhöfn" |
Nachdem Erlingur Sponsoren gesammelt hatte, begannen die Bauarbeiten im Herbst 2003, nach wenigen Monaten standen die vier Portale und das Monument in der Mitte. Danach gab es allerdings Probleme mit der Finanzierung und die isländische Wirtschaftskrise 2008 beendete erst einmal alle weiteren Baufortschritte. Bisher stehen nur die vier Portale und die vier Säulen in der Mitte.
Erlingur hoffte zwar weiterhin, sein Projekt fortführen zu können, aber bis zu seinem Tod 2015 ließ es sich nicht realisieren.
Als wir im Sommer 2019 dort waren, waren gerade Bauarbeiten an einer Umgestaltung des Parkplatzes in Gange. Viel Betrieb war allerdings nicht, ein paar Autos parkten hier, als wir ankamen, einer saß in seinem Wohnmobil und aß, andere saßen im Auto und studierten ihre Karten. Teilweise hatten wir die Anlage für uns alleine, die so im Nebel schon ihre ganz eigene Stimmung entwickelte.
Ob der Ort, wie von Erlingur geplant, durch den Bau des "Arctic Henge" 2004 wirklich nachhaltig neuen Aufschwung bekam, kann ich nicht beurteilen. Andererseits - uns hat das Monument auf unserem Weg von Egilsstaðir nach Húsavík entlang der Küstenstraße ja auch hierher gelockt, an dieses doch etwas unwirtliche Ende der Welt!
Geschichte des Ortes
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Ort zu einem Zentrum der Heringsfischerei, um in den 1960er Jahren sogar eines der frührenden Zentren der Heringsverarbeitun zu werden - in der Saison lebten neben der einheimischen Bevölkerung noch Fischer und Arbeiter aus dem ganzen Land und auch aus dem Ausland hier, teilweise bis zu 4.000 Menschen. Bis zu 11 Heringssalzstationen waren hier gleichzeitig in Betrieb, rund 10% der Gewinne des ganzen Landes aus dem Hering stammten damals aus Raufarhöfn. Aber 1967 blieb der Hering weg. Die Heringsindustrie wurde aufgegeben, der Ort teilweise zu einer Geisterstadt.
Auch die Bevölkerung ging drastisch zurück - von gut 600 Menschen Mitte der 60er Jahre auf etwa 400 Menschen Ende der 80er Jahre auf weniger als 200 Leute heute.
Es gibt weiterhin Anstrengungen, dieser Entwicklung entgegen zu wirken, den Ort lebenswert zu erhalten. Es gibt noch eine Grundschule (mit etwa 13 Schülern), eine Turnhalle mit einem öffentlich zugänglichen Schwimmbad, eine Tankstelle, einen kleinen Laden, ein Restaurant, ein Hotel, Pensionen und einen Zeltplatz - also eigentlich alles, was man so braucht.
Ein Großteil der Bevölkerung, der heute noch hier lebt, arbeitet im Fischfang, insbesondere wird hier jetzt Lodde gefangen und verarbeitet, ein Fisch, dessen Rogen als "isländischer Kaviar" beliebt ist. Und als Touristenmagneten hier oben im Nordosten wirkt natürlich der "Artic Henge", der viele Besucher überhaupt erst hier in diese Ecke des Landes lockt.
Ein bisschen unwirtlich wirkte der Ort ja schon auf uns - allerdings liegt das sicher auch an dem sehr trüben Wetter.
Und die ständige Feuchtigkeit trägt sicherlich ihren Teil dazu bei, dass die Anstriche der Gebäude sehr schnell etwas heruntergekommen aussehen.
Immerhin - der kleine Leuchtturm hier auf dem Denkmals-Sockel leuchtete auch in dem trüben Sommer-Grau des Ortes fröhlich.
Wir haben uns dann wieder auf den Weg gemacht...
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