Kulturfest in Sólheimar 2020
Sólheimar ist ein Ort in der Gemeinde Grímsnes in Südisland, der 1930 gegründet wurde als Heim für behinderte und nicht behinderte Kinder. Heute leben und arbeiten hier etwa 100 Menschen, viele der Bewohner haben geistige Behinderungen.
Außerdem leben und arbeiten hier im Rahmen eines Resozialisierungsprogramms auch 2 bis 3 Gefangene unter entsprechenden strengen Auflagen mit ihren Familien. Es gibt auch spezielle Programme für Arbeitslose und Arbeitnehmer, die aus unterschiedlichen Gründen Probleme auf dem privaten Arbeitsmarkt haben.
Ziel von Sólheimar ist es, Menschen mit unterschiedlichen / besonderen Bedürfnissen ins Zentrum der Gemeinschaft zu stellen und die persönlichen Qualitäten jedes Einzelnen zu stärken, damit jeder im Laufe der Zeit "Regisseur seiner eigenen Geschichte" werden und damit auf seine Weise seinen Teil zur Gemeinschaft beitragen kann.
Die Gründerin Sesselja Sigmundsdóttir
Sólheimar wurde von Sesselja Hreindis Sigmundsdóttir 1930 gegründet.
Sesselja wurde als eines von 8 Geschwistern am 05. Juli 1902 in Hafnarfjörður geboren. Sie wuchs in Þingvellir auf, wo ihr Vater Sigmundur Sveinsson, der Bauer auf Brúsastaðir war, das Gästehaus Valhöll betrieb. Im Jahr 1919 verkaufte er das Haus und die Familie zog nach Reykjavík.
Als isländische Bauerntochter nach dem 1. Weltkrieg zum Studium ins Ausland
Sesselja studierte insgesamt 6 Jahre in Dänemark, der Schweiz und in Deutschland, laut der Ausstellung in Sólheimar studierte sie Pädagogik sowie Gartenbau und Pflanzenzucht. In ihrem Studienjahr in Deutschland lernte sie Rudolf Steiner kennen, dessen anthroposophische Theorien sie nachhaltig beeinflusst haben.
Gründung als Kinderheim am 05. Juli 1930
Sesselja kehrte 1930 nach Island zurück, pachtete hier Land und gründete an ihrem 28. Geburtstag Sólheimar, ursprünglich als Kinderheim, insbesondere für Kinder, die ihre Eltern verloren hatten oder deren Eltern sich krankheitsbedingt nicht um sie kümmern konnten, sowie für sog. "Sommerkinder", die hier nur während der Sommermonate lebten. Ende 1931 kam das erste behinderte Kind nach Sólheimar - damals gab es noch nicht viele Möglichkeiten für Kinder mit körperlichen oder geistigen Behinderungen. Teilweise wurden behinderte Kinder damals noch
Speziell für die Bedürfnisse von entwicklungsbehinderten Kindern wurde dann 1932/33 ein eigenes Haus in Sólheimar errichtet, mit Unterstützung der isländischen Regierung. Im Laufe der Zeit spezialisierte sich der Ort dann auf Kinder mit geistigen Behinderungen. Als die Kinder älter wurden, blieben sie. Heute leben in Sólheimar etwa 100 Menschen, der jüngste erst wenige Monate alt, der älteste schon über 80.
Privatleben - ein Mann, zwei Adoptivkinder, 14 Pflegekinder
...und dazu noch die Kinder aus dem Heim sowie alljährlich die "Sommerkinder".
Sesselja heiratete erst im Alter von 47 Jahren 1949. Ihr Mann Rudolf Noah war ein deutscher Musiker und Lehrer. Noah war 1935 nach Island gekommen, wurde aber als Deutscher 1940 von britischen Soldaten verhaftet und in ein Kriegsgefangenenlager nach England gebracht. Erst 1949 konnte er nach Island zurückkehren, wo er dann Sesselja heiratete. Noah kehrte 1953 nach Deutschland zurück, eine offizielle Trennung der Eheleute folgte aber nicht. Sesseljas Mann starb 1967 in Deutschland.
Sesselja adoptierte zwei Kinder, eine Tochter namens Hólfríði und einen Sohn namens Elvar. Ihr Sohn starb allerdings bereits 1963. Außerdem hatte Sesselja noch 14 Pflegekinder.
Sie selbst starb am 08. November 1974 im Alter von 72 Jahren im Krankenhaus in Reykjavík
In Sólheimar erinnert derzeit eine kleine Fotoausstellung an die Gründerin des Ortes.
Bildungs- und Umweltzentrum
Hier im Sesseljuhús (Sesseljas Haus) befindet sich ein Bildungs- und Umweltzentrum. Es gibt einen Ausstellungsbereich, auch zum Thema nachhaltiges Bauen, es gibt Angebote für Schulklassen, außerdem werden hier Seminare und Tagungen veranstaltet.
Sesseljuhús |
Sólheimar Ecovillage - Islands erstes Öko-Dorf
Sólheimar ist seit 2002 Islands erstes "Eco-Village", also ein "Öko-Dorf", das an speziellen ökologischen Kriterien wie Nachhaltigkeit und Vereinbarkeit von Mensch und Natur ausgerichtet ist. So sorgt in Sólheimar eine heiße Quelle für die Energieversorgung des Ortes, die Gebäude werden unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten errichtet...
...und auf dem Gelände wird ein Wiederaufforstungsprogramm betrieben.
In den Gewächshäusern werden Bio-Produkte angebaut.
Der in Sólheimar anfallende Müll wird zu über 50% recycelt.
Kunst- und Kulturzentrum
Sólheimar hat sich im Laufe der Jahre immer mehr zu einem Kunst- und Kulturzentrum entwickelt. So gibt es Galerien, Kunststudios und Ateliers. Die Bewohner stellen aus Textil- und Papierresten Gegenstände des täglichen Bedarfs her und fertigen Kerzen, Keramiken und Kunstgegenstände, die man vor Ort kaufen kann.
Das Gästehaus in Sólheimar ist ganzjährig geöffnet und bietet bis zu 33 Gästen Platz. Außerdem gibt es ein Café, nämlich das...
Kaffihús Grænan Kannan
In der "Grünen Kanne" werden Speisen und Getränke aus Bio-Produkten angeboten, darunter diverses Gebäck sowie auch eine Tagessuppe mit Brot und Dipp.
Wir hatten hier eine Waffel mit Sahne und sehr leckerer Rhabarbermarmelade, eine große Pizzaschnecke und ein Stück "Eheglück".
Besonders den Hjónabandssæla, das "Eheglück", fand ich ausgesprochen lecker!
Bei den Nachbarn gehen die Meinungen über das Café etwas auseinander, eine Frau schwärmte im Hot Pot im Schwimmbad in den höchsten Tönen von den verschiedenen Kuchen, dem Gebäck und den leckeren Suppen, andere waren weniger begeistert bzw. fanden es auch etwas teuer. Im Grunde - geht hin und probiert es selber aus!
Im Sommer hat das Café täglich von Mittag bis 17 Uhr geöffnet, im Winter gibt es individuelle Öffnungszeiten.
Ich persönliche glaube ja fast, hier in Sólheimar leben sogar Ents, diese uralten Baumwesen, die man sonst nur aus dem "Herrn der Ringe" kennt.
1930 - 2020: Sólheimars 90-jähriges Jubiläum
Am 05. Juli 2020 konnte Sólheimar seinen 90. Jahrestag feien. Aus diesem Anlass laufen den ganzen Sommer übert diverse Feierlichkeiten und besondere Veranstaltungen.
Bei dem großen Jubiläumsfest am 05. Juli nahmen neben zahlreichen anderen Gästen auch der isländische Präsident und seine Frau teil.
Außerdem finden von Anfang Juni bis Ende August immer samstags um 14 Uhr verschiedene Musikveranstaltungen in Sólheimar statt. So spielte z.B. die bekannte isländische Indie-Folk-Bank Árstíðir, das Trio GÓSS oder die Popsängerin Greta Salóme, die 2012 für Island beim Eurovision Song Contest angetreten war. Als wir da waren, spielte Dos Sardinas.
Die Konzerte finden teilweise im Freien statt, meistens aber in der Kirche in Sólheimar.
Die Kirche ist ein modernes Gebäude, sie wurde am 3. Juli 2005, dem 75. Jahrestag der Gründen, von dem damaligen evangelisch-lutherischen Bischof von Island geweiht. Sie bietet insgesamt knapp 200 Besuchern Platz.
Von den Liedern, die "Dos Sardinas" gespielt haben, kannte ich leider nur eines - "góða ferð", "gute Reise". Eigentlich ein beliebtes isländisches Volkslied, mit dem man einen Freund auf seine Reise verabschiedet, wurde das Lied dieses Jahr in einer neuen Version zu Islands "Corona-Song", als zu Ostern galt "ferðumst innanhús", nämlich "wir verreisen drinnen" - mit Camping im eigenen Garten und Picknick in der Küche.
Islands Lauf-Legende Reynir Pétur
Außerdem haben wir beim Konzert in Sólheimar noch Reynir Pétur kennen gelernt, einen der Bewohner von Sólheimar. Unser Nachbar Vilhelm stellte uns Reynir Pétur vor als den Mann, der "einmal zu Fuß um Island" gegangen ist!
Wir haben uns dann noch mit Reynir Pétur unterhalten, er erzählte von seiner Mundharmonika - auf Isländisch "munnharpa", also "Mund-Harfe", auf Englisch "harmonica" oder "mouth organ", also "Mund-Orgel". Wir konnten dann die deutsche Version "Mundharmonika" beisteuern.
Erst hinterher wurde uns allerdings bewusst, dass Reynir Pétur eine Island-Legende ist, wie unser jüngster Sohn es nannte:
Als wir von der Kirche am Sesseljuhús vorbei zurück zu unserem Auto am Eingang von Sólheimar gingen, kamen wir an einer Reihe Tafeln vorbei, mit Bildern und Texten, auf denen sich alles um Reynir Pétur und sein Leben in Sólheimar drehte:
Reynir (geb. 1948) kam mit noch nicht ganz 4 Jahren 1952 nach Sólheimar, nachdem er als Kleinkind an Hirnhautentzündung erkrankt war. Seit 1966 arbeitet er hier im Gartenbau. Berühmt wurde er, als er 1985 zu Fuß einmal rund um Island lief, um Geld für den Bau einer Sporthalle in Sólheimar zu sammeln.
Reynir Pétur startete am 25. Mai 1985 in Selfoss und lief zu Fuß auf der Ringstraße einmal rund um die Insel. Bei der Feier in Reykjavík wurde er von über 12.000 Menschen empfangen. Für die 1.417 km, die die Ringstraße damals lang war, benötige er insgesamt 32 Tage. Im Durchschnitt lief er knapp 50 km pro Tag, teilweise aber auch bis zu 70 km am Tag. Am 25. Juni hatte er die Umrundung Islands geschafft und 5 Mio. Kronen für den Bau der Turnhalle gesammelt. Eine ausgesprochen beachtliche Leistung!
An Reynirs Lauf um Island erinnert auch dieser "Papp-Kamerad", den wir in Sólheimar getroffen haben. Der Film "Forrest Gump" von 1994 lässt grüßen, finde ich.
Im Jahr 2018, zu seinem 70. Geburtstag, wiederholte Reynir Pétur seinen Lauf um Island, dieses Mal allerdings teilweise mit dem Auto und nur teilweise zu Fuß - an die alten Orte, die er auch 1985 besucht hatte. Aber die Sporthalle in Sólheimar benötigt viel Wartung und das Schwimmbad musste geschlossen werden, also wollte Reynir erneut Geld sammeln, damit diese Probleme angegangen werden konnten. 2020 zum 35. Jubiläum folgte eine Umrundung der Insel in einem Elektro-Auto.
P.S.: Als wir jetzt da waren, liefen offenbar gerade Baumaßnahmen am Schwimmbad in Sólheimar.
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